Die elfte Jungfrau
Begine …«
Ein Windstoß ließ Almuts Kopftuch hochwehen und gab ihren Ausschnitt frei.
»Begine, was ist das an Eurem Hals?«
Hastig zerrte sie an dem Tuch.
»Nicht, das ist nichts.«
Er aber zog das Tuch wieder fort und betrachtete die blauschwarzen Male, die Bertrams Klammergriff hinterlassen hatte.
»Ihr seid gewürgt worden, Begine. Wer tat das?«
»Das ist doch gleichgültig.«
»Verdammt, Begine, antwortet mir. Wer war es?«
»Es ist nichts, Pater. Nur ein Unfall.«
»Gebt mir sofort eine Erklärung! Wer hat Euch angegriffen?«
»Niemand. Es war ein Unfall. Ein Kranker.«
Die Unwetterwolke in der schwarzen Kutte schien sie verschlingen zu wollen, aus den Augen unter den schwarzen Brauen schossen Blitze, und von den Lippen kam das Donnergrollen.
»Wer, wann und warum?«
»Ihr zieht nur falsche Schlüsse, Pater!«
»Himmel, Herrgott, verdammte …«
»Es hilft auch nicht, wenn Ihr flucht, Pater Ivo.«
Die schwarze Wolke schrumpfte etwas.
»Nein, vermutlich nicht. Trotzdem, Begine. Ich muss es wissen. Ihr wart in Gefahr!«
»Nein, das war ich nicht.«
Einen Moment starrte der Pater sie zornig an, dann änderte er plötzlich seine Stimme und befahl streng, aber ruhig: »Kniet nieder und beichtet!«
Gehorsam ging Almut in die Knie und begann trotzig: »Also gut, Bertram hatte einen Anfall, und ich ging auf ihn zu, um ihm beizustehen. Er wollte nichts Böses, er hat sich nur hilfesuchend an mich geklammert.«
»Und Euch beinahe das Genick gebrochen.«
»Pater Ivo!«
»Vergesst nicht, Begine, ich habe einen seiner Anfälle miterlebt, damals im ›Adler‹. Er entwickelt Bärenkräfte. Ihr wart in Gefahr!«
»Na gut, aber Claas hat ihn von mir weggezogen, und alles ist glimpflich ausgegangen.«
»Was wäre geschehen, wenn der Schreinemaker nicht dabei gewesen wäre?«
»Hätte es ein anderer gemacht.«
»Und wenn niemand dabei gewesen wäre?«
Almut schwieg. Sie musste, bedauerlicherweise, dem Pater Recht geben. Es wäre gefährlich gewesen.
»Begine, Ihr seid unmöglich!«
»Ja, Pater.«
»Versprecht mir, Euch nirgends alleine mit dem Jungen aufzuhalten!«
»Ja, Pater.«
»Und auch keiner Eurer Schülerinnen das zu erlauben!«
»Ja, Pater.«
»Wenn Ihr derart kleinlaut ›ja, Pater‹, antwortet, dann habe ich das ungute Gefühl, ein reines Lippenbekenntnis zu hören.«
»Nein, Pater.«
Er seufzte und sagte in resigniertem Tonfall: »Steht auf, ich spreche Euch frei. Zur Buße werdet Ihr bis zur Vesper an Eurem Bauwerk arbeiten und dabei streng darauf achten, Euch nicht zu verletzen.«
»Ja, Pater!«
»Ich muss nun meinen weitaus weniger beschwerlichen P.flichten nachkommen. Doch bevor ich die Stadt wieder verlasse, suche ich Euch noch einmal auf. Lebt wohl, und möge Maria, die Mutter des guten Rates, Euch beistehen und vor Unsinn behüten.«
Almut sah seiner flatternden Kutte nach und betrachtete dann das Wirrwarr ihrer Gefühle. Lange blieb ihr dazu keine Muße, denn noch bevor der schwarz gewandete Benediktiner die Pforte geschlossen hatte, schlüpfte eine andere schwarze Gestalt hinein.
»Teufelchen!«
Mit einem lauten Schnurren wickelte sich die magere, struppige Katze um Almuts Beine und sah sie verlangend mit ihren grünen Augen an. Sie bückte sich, um sie auf den Arm zu nehmen, und wohlig kuschelte sich das Tier an ihre Schulter. Mit ihrer Last begab sich Almut in die Küche, wo Gertrud Kohl klein schnitt.
»Unsere Ausreißerin ist wieder da!«
»So, so!«
Der Kohl wurde flugs zur Seite geschoben, und das schwere Hackmesser sauste auf einen rohen Fisch nieder. In Windeseile war eine Schüssel gefüllt, und leise lachend setzte Almut Teufelchen davor ab. Befriedigt lauschten die beiden Beginen dem Schmatzen.
»Ich bin froh, dass sie wieder da ist.«
»Ich auch. Und du bist auch froh, dass er wieder da ist.«
»Gertrud?«
»Du strahlst«, stellte die Köchin mürrisch fest.
»Das ist wegen Teufelchen.«
»Nein. Mach mir nichts vor. Aber es ist gut. Ihr passt zusammen. Hab ich schon immer gedacht.«
Und dann geschah etwas Wundersames, das Almut kaum je erlebt hatte. Die ewig sauertöpfische Köchin schenkte ihr ein verständnisvolles Lächeln. Sprachlos starrte sie Gertrud an, die erklärte: »Er ist ein Mann, der Hindernisse aus dem Weg räumt. Meiner war auch so einer. Manchmal erinnert mich dein Pater sehr an ihn.«
»Du bist doch schon so lange Witwe …«
»Seit mehr als zehn Jahren.« Sie setzte sich an den Tisch, und das Lächeln wich einer
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