Die elfte Jungfrau
entscheidenden Hinweis gegeben. Es ist wohl besser, wir lassen es dabei. Doch wenn Lena seinen Tod untersucht haben will, dann wird man auf den Reliquienhändler stoßen. Die Familien der Opfer könnten sich ihren Reim darauf machen, denn Esteban ist schwer verwundet.«
»Der Händler war oft genug für einige Tage oder gar Wochen verreist. Man wird sich nicht wundern, wenn er zurückkommt und berichtet, er sei von Wegelagerern überfallen und verletzt worden.«
»Nur Fabio werde ich etwas anderes erklären müssen. Und, Pater, um ihn werde ich mich jetzt sogleich kümmern. Die Messe ist lange vorüber, der Junge wird seinen Vater vermissen.«
»Was wollt Ihr tun?«
»Ihn zu Aziza bringen, wo er häufig wohnt, wenn der Reliquienhändler unterwegs ist.«
»Ich begleite Euch.«
»Nein, Pater. Es ist besser, ich tue es alleine. Kümmert Ihr Euch um den Leichnam.«
»Habt Ihr eigentlich die Freiheit, von Kloster und Konvent fernzubleiben?«, fragte der Apotheker den Mönch und die Begine.
»Ich werde bei meiner Meisterin Verständnis finden, wenn ich ihr die Wahrheit erzähle.«
»Und ich nehme mir die Freiheit, die ich brauche.«
»Dann tut, was getan werden muss.«
48. Kapitel
M agda hatte bleich vor Entsetzen zugehört und nur sehr wenig geäußert.
»Ich hätte nie gedacht, ein so freundlicher, anziehender junger Mann könnte zu derartigen Taten fähig sein. Ich gestehe, den Schrein, den er für uns gefertigt hat, möchte ich jetzt nicht mehr in unserer Kapelle haben.«
»Nein. Das würde mich auch immer wieder an diese Dinge erinnern. Verbrennen wir ihn. Oder schenken ihn Mutter Mabilia als Versöhnungsgeste.«
»Du hast krause Ideen, Almut.«
»Warum nicht? Sie weiß nicht, von wem er stammt. Hier bei uns würde es nur dumme Fragen geben, wenn wir ihn plötzlich zu Feuerholz verarbeiteten.«
»Das stimmt auch wieder. Was ist mit dem Jungen?«
»Ich habe ihm eine bereinigte Version der Vorfälle geschildert. Meine Schwester hat das, was ich verschwieg, allerdings sehr wohl herausgehört. Sie wird gut auf ihn acht geben und zu gegebener Zeit mit Esteban sprechen.«
»Der Reliquienhändler?«
»Wird bei Meister Krudener bleiben, bis er so weit genesen ist, dass er glaubhaft nach Hause zurückkehren kann. Er ist in guten Händen - in Trines.«
»Wohl wahr.«
»Aber wir haben damit zu rechnen, dass Frau Lena bald von dem Unfall ihres Bruders hört.«
»Dann wirst du eine schwere Zeit haben. Was immer du für Fehler hast, Almut, gut lügen kannst du nicht.«
Die Prüfung stand Almut bereits am folgenden Tag bevor. Am Karsamstag war der Leichnam an der Waschbank am Holzmarkt gefunden und von einem Holzhändler als der Claas Schreinemaker erkannt worden. Man schickte seiner Schwester eine Botschaft und teilte ihr mit, der Verstorbene sei in sein Haus gebracht worden. Almut stieg gerade aus dem Bottich mit warmem Wasser, in dem sie gebadet hatte, als die Pastetenbäckerin vollkommen aufgelöst in den Beginenhof gelaufen kam. Während sie ihre feuchten Flechten unter dem Schleier versteckte und sich in die frischen Kleider hüllte, hatten sich alle bereits um Lena im Refektorium versammelt und hörten sich ihre Klage und ihren Jammer an. Tröstende Worte wurden gesprochen, mitfühlende Hände strichen ihr über die Schultern, feine Seidentücher fingen ihre Tränen auf. Aber es war dann Magda, die schließlich einen Entschluss fasste. Nicht ohne sich aber zuvor leise mit Almut beraten zu haben.
»Frau Lena, Ihr werdet nicht umhinkommen, zu Eurem Bruder zu gehen. Doch alleine solltet Ihr das nicht tun. Almut wird Euch zum Kloster von Groß Sankt Martin begleiten, wo Ihr Bertram abholen könnt. Der Junge muss es auch wissen. Ihr werdet ganz gewiss Hilfe und Unterstützung bei Pater Ivo finden.«
»Ja … ja, Ihr habt ja Recht. Frau Almut, würdet Ihr mich begleiten?«
»Natürlich. Gehen wir jetzt, dann treffen wir die Mönche noch vor dem Vespergebet an.«
Almut war erstaunt, wie gefasst Bertram die Mitteilung aufnahm. Insgeheim hatte sie gefürchtet, es könne ein neuerlicher Anfall, diesmal ein echter, bevorstehen. Aber der Junge blieb ruhig und ließ nur einmal sehr ernst seinen Blick zwischen ihr und dem Pater hin- und hergehen. Der erklärte sich selbstverständlich bereit, Mutter und Sohn zu begleiten.
»Sie vermuten, der Schreinemaker müsse in eine Schlägerei geraten sein, unten am Hafen!«, erklärte Almut, und Pater Ivo nickte.
»Es sind viele fremde Schiffe angekommen. Der Handel
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