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Die elfte Jungfrau

Titel: Die elfte Jungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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nimmt um diese Zeit immer großen Aufschwung. Hoffentlich kann man herausfinden, wann es geschehen ist. Wann traft Ihr zuletzt Euren Bruder, Pastetenbäckerin?«
    »Claas war am Palmsonntag bei mir.« Sie schluchzte auf. »Da habe ich ihn zum letzen Mal gesehen.«
    »Nun, vielleicht wissen die Nachbarn mehr. Von Euch wird jetzt nur erwartet, dass Ihr ihn als Euren Bruder erkennt. Ich habe zu unseren Schwestern bei den Machabäern geschickt, damit sie Euch bei dem Herrichten des Toten helfen.«
    Almut sandte Pater Ivo einen dankbaren Blick. Es hätte ihre Kräfte überfordert, dem Mörder diesen letzten Dienst zu erweisen.
    Sie schritten an der Stadtmauer entlang Richtung Holzmarkt. Vor dem Haus des Schreinemakers hatten sich schon etliche Nachbarn versammelt, denn es hatte sich in Windeseile herumgesprochen, er sei, zerschlagen und leblos, am Ufer aufgefunden worden. Zahlreiche Mutmaßungen machten die Runde, aber der Erklärung, er müsse in eine Auseinandersetzung mit den Schiffern geraten sein, gab man den Vorrang.
    »Gebt den Weg frei, Leute!«, befahl Pater Ivo und geleitete die Pastetenbäckerin in das Haus. Almut folgte mit Bertram.
    Sie hatten ihn in der Stube auf eine Bank gelegt. Seine braunen Locken waren inzwischen getrocknet und umgaben seinen Kopf wie eine wirre Gloriole. Die langen Wimpern seiner Augen lagen auf den Wangen, doch die schönen Züge wirkten aufgedunsen und fahl. Seine Kleider waren an manchen Stellen zerrissen, sein rechter Arm unnatürlich abgewinkelt.
    Lena stand starr und blass vor ihm und drückte sich die Faust an den Mund. Der Pater hielt sich dicht neben ihr. Almut hingegen hatte ein Auge auf Bertram. Doch noch immer zeigte er keine beunruhigende Regung.
    »Welcher Priester war für ihn zuständig?«
    »Der Pfarrer von Lyskirchen.«
    »Wir werden ihn holen lassen.«
    »Danke.«
    »Aber zuvor werdet Ihr Eure Aussage im Turm machen müssen. Soll ich Euch begleiten, Pastetenbäckerin?«
    Lena nickte nur stumm und ließ sich hinausbegleiten.
    Bertram trat näher an den Toten heran, betrachtete ihn gründlich und fragte dann: »Woran ist er gestorben, Frau Almut?«
    »Ich weiß es nicht. Man wird die tödliche Wunde finden, wenn man ihn herrichtet, denke ich. Oder der Stadtmedikus wird es feststellen.«
    »Wann ist er gestorben?«
    »Auch das weiß ich nicht, Bertram.«
    »Aber Ihr wisst, warum er gestorben ist.«
    Mehr als überrascht, wandte sich Almut zu dem hochgewachsenen Jungen um. Er nickte nachdrücklich.
    »Ihr wisst es, und ich weiß es auch. Ich habe es herausgefunden, als ich Euer Gesicht schnitzte.«
    »Mein Gesicht?«
    »Eine kleine Arbeit, die ich Eurem Pater gab. Aber während ich es tat, fiel es mir ein. Ich fürchte, ich erschreckte Lodewig mit meinen Krämpfen. Aber anders als sonst, konnte ich mich dieses eine Mal erinnern. Ich erinnerte mich an Euer Gesicht, an das von Lissa, an das von Maike, von Marie, von Sanna. Ich sah sie jedoch nicht im Leben, sondern in Holz geschnitzt. Folgt mir, Frau Almut!«
    Der Junge ging auf die Stiege zu, und als Almut die Kammer betrat, wies er auf das Bord hin, auf dem zehn Ursulabüsten standen. Mit dem Antlitz zur Wand gedreht.
    »Maike!«, sagte Bertram und drehte sie herum. »Marie Seidweberin!«, erklärte er bei der nächsten. »Die Mädchen, die meine Mutter für ihn ausersehen hatte.«
    Almut hatte fast keine Stimme und drückte sich die Hände auf den rebellierenden Magen. Aber sie gab der nächsten Büste den Namen.
    »Sibill, das Milchmädchen!«
    »Diese wird die Gänse-Ursel sein«, meinte Bertram, »aber diese kenne ich nicht.«
    »Gisela Schiderich. Und die nächste wird möglicherweise Christine, die Buchmalerin, sein!«
    »Und das ist Sanna, die Parlerstochter!«
    »Richtig. Und an den vorstehenden Zähnen erkenne ich die Stiftsjungfer. Das herzförmige Gesicht gehörte Pia.«
    »Und dies ist Lissa.«
    Tränen rannen Bertram über die Wangen, aber Almut war zu entsetzt, um weinen zu können.
    »Er hat sie umgebracht.«
    Sie konnte nur nicken.
    »Er wollte auch Trine?«
    »Er wollte Gebeine der Jungfrau. Im Keller der Apotheke. Trine ist ihm nur in den Weg gekommen.«
    »Konntet Ihr sie retten?«
    »Ja.«
    »Die Mutter wird es nicht glauben.«
    »Er ist in eine Hafenschlägerei geraten, Bertram.«
    »Ja, natürlich. Ich werde jetzt ins Kloster zurückgehen. Hier bleibe ich nicht länger. Und für ihn zu beten, das wird mir auch nicht gelingen.« Dann aber schlug er die Hände vor das Gesicht und schluchzte laut auf.

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