Die elfte Jungfrau
Wochen.«
»Und das Kind?«
»Es fand sich eine Amme. Der Junge wird von einer gottesfürchtigen Bauernfamilie aufgenommen, hoffe ich.«
Franziska und Gertrud waren inzwischen in der Vorratskammer verschwunden, die Küchenhilfe hatte sich in den Schankraum begeben, um dort auszuhelfen. Almut war erfreut, einen Moment lang alleine mit Bruder Jakob sprechen zu können.
»So regelt sich denn wohl alles«, kommentierte sie seine Ausführungen und leitete geschwind zu einem anderen Thema über. »Wie ich hörte, sind unsere Wege sogar auf noch seltsamere Weise verflochten. Ich erfuhr von meiner Stiefmutter, dass der neue Lehrer ihrer beiden Kinder Mechthild und Peter Euer leiblicher Bruder ist.«
»Ah, Frau Almut, wahrhaftig? Ja, Edwin unterrichtet zwei begabte Baumeister-Kinder. Ich habe sie schon zweimal aufgesucht. Ein gewitztes Bürschchen, Euer kleiner Bruder. Aber das Schwesterchen mag ihm sogar noch überlegen sein. Edwin spricht mit großer Zuneigung von den beiden.«
»Das freut mich zu hören. Er hat ja zuvor die junge Gisela Schiderich unterrichtet, nicht wahr?«
»Ach, gütiger Herr Jesus, ja, die arme junge Maid. So sanft und gelehrt. Und dann geschah dieser böse Unfall.«
»Habt Ihr sie auch kennengelernt?«
»Doch, ja, natürlich.«
»Es hieß, es gab oft Zank mit dem zweiten Weib des Hausherrn.«
»Wohl wahr. Oft genug musste Edwin schlichten und seine Schülerin trösten.«
»Ich hoffe, er tat es nicht auf unschickliche Weise...!«
»Aber, Frau Begine!«
Almut erinnerte sich, dass Pater Ivo einmal davon gesprochen hatte, Bruder Jakob schwatze gerne und würde dieser Neigung bei einem guten Rotwein besonders bereitwillig nachkommen. Sie schenkte ihm einen Becher ein und lächelte ihm begütigend zu. Die Wirkung von aufmerksamem Zuhören und starkem Wein ließ nicht lange auf sich warten, und Almut erfuhr eine ganze Menge aus dem täglichen Leben im Hause Schiderich. Das meiste war belangloser Klatsch, doch entnahm sie verschiedenen Andeutungen, es habe Zwistigkeiten wegen der geplanten Verehelichung Giselas mit Hilger vom Palast gegeben. Kurz vor Weihnachten schien sich das Mädchen mit seinem Schicksal versöhnt zu haben und war überaus heiterer Stimmung.
»Sie blühte geradezu auf, sang und trällerte und wurde sehr nachlässig in ihren Lektionen, erzählte mir Edwin.«
»Das hört sich fast nach einem verliebten Mädchen an.«
»Ja, die Liebe macht das Herz übersprudeln, die Augen glänzen und lässt die Lippen weich werden.«
»Hilger vom Palast ist ein recht dumpfer Geselle von geringen Vorzügen.«
Bruder Jakob zupfte nachdenklich an seinem roten Wams.
»Ihr glaubt, die Gisela habe sich heimlich mit einem anderen Mann getroffen?«
»Wäre das nicht möglich?«
Der Mönch lächelte.
»Es liegt in der Natur der Dinge. Aber warum legt Ihr so viel Wert darauf zu wissen, auf welche Abwege sich die Jungfer begeben hat, Frau Almut?«
»Weil Sanna Steinheuer sich ebenfalls heimlich davongestohlen hat, Bruder.«
»Ach, die Parlerstochter, die ich bei der hübschen Trine traf. Ja, so sind die Maiden eben in diesem Alter. Seid nicht so streng, Frau Begine. Wart Ihr nicht auch mal jung?«
»Doch. Aber ich habe mir nicht das Genick dabei gebrochen.«
Der lustige Mönch wurde bleich und hob entsetzt die Hand zu Mund.
»Ja, Bruder Jakob. Sanna wurde am Freitag vermisst und am Samstag tot unter einem Haufen Lumpen in der Krebsgasse gefunden.«
Ihr Gegenüber stammelte erschüttert ein leises Gebet für die Verstorbene und rang sichtlich um Fassung.
»Ihr glaubt, da bestünde ein Zusammenhang?«
»Ich weiß es nicht. Aber es sind zwei junge Mädchen, die sich ähnlich verhalten haben und auf dieselbe Art den Tod gefunden haben.«
»Ich werde meinen Bruder fragen, ob ihm etwas zu Ohren gekommen ist, oder ob er noch etwas mehr bemerkt hat.«
»Danke. Der Steinheuer hat den Tod seiner Tochter dem Turmmeister gemeldet. Mag sein, er will auch Euch sprechen.«
Nun schimmerte echtes Entsetzen in Bruder Jakobs Augen auf, und heiser stöhnte er: »O nein!«
Almut zuckte zusammen. War es möglich, dass der Mönch sich einer Schuld bewusst wurde, sich vor einer Entdeckung fürchtete? Sie musterte ihn scharf und bemerkte, wie er sich auf der Bank wand und hin- und herrutschte.
»Habt Ihr etwas zu verbergen, Bruder Jakob?«
Er druckste verlegen vor sich hin.
»Bruder Jakob, Ihr habt mit Florens’ Schwester bei Meister Krudener recht lockeren Umgang gepflegt!«
»Frau Almut... Ihr glaubt
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