Die elfte Jungfrau
doch nicht...?«
»Bruder Jakob, wie sagtet Ihr ganz richtig - es liegt in der Natur der Dinge, dass sich junge Mädchen und Männer gegenseitig anziehen. Und Ihr seid ein - hm - fescher Mann, oder?«
Bruder Jakob stürzte den Becher Rotwein hinunter und setzte den Becher mit zitternden Händen ab.
»Ich habe immer... Es weiß doch niemand...«
»Was habt Ihr immer?«
Almuts Stimme klang hart.
»Ich wollte nicht, dass jemand es erfährt! Es... es ist... Man wird mir...«
»Was, Bruder Jakob, wird man Euch zur Last legen? Eure Unkeuschheit?«
»Nein, nie. Das doch nicht!«
»Nicht?«
»Nein, nein, ich habe doch ein Gelübde abgelegt!«
»Ach ja? Es hindert Euch aber offensichtlich nicht, mit jungen Mädchen zu tändeln.«
»Ich habe es nie so gesehen, Frau Almut. Ich war immer nur freundlich. Ich mag Frauen und Mädchen, Frau Almut. Aber ich habe mir nie erlaubt, sie in fleischlichem Sinne zu betrachten. Ganz ehrlich, Frau Almut.«
»Was habt Ihr denn dann zu verbergen?«
Mit fahrigen Händen strich sich der Mönch über das rote Wams, und Almut verstand. Die Anspannung und das Misstrauen verschwanden schlagartig, und sie merkte, wie eine ungewollte Heiterkeit sie erfasste. Aber mit Mariens Hilfe gelang es ihr, ernst und streng zu bleiben.
»Ich verstehe!«, bemerkte sie mit dumpfer Stimme. »Ich verstehe. Diese Gewandung ist nicht von dem ehrwürdigen Vater Abt autorisiert. Ihr übertretet heimlich die Regeln der Kleiderordnung, nicht wahr? Und das wird nun offenbar werden.«
Bruder Jakob nickte stumm.
Almut betrachtete ihn lange und aufmerksam, dann lächelte sie ihn an. Diese unerwartete Freundlichkeit verwirrte den Mönch nun völlig.
»›Lass deine Kleider immer weiß sein und lass deinem Haupte Salbe nicht mangeln‹, sagt der Prediger Salomo, und hätte er Euch gekannt, hätte er wohl von bunten Kleidern gesprochen.«
»Äh...«
Der Mönch schluckte trocken. Dann meinte er: »Ich werde beichten müssen. Es wird furchtbar.«
»Ich glaube kaum, dass es für Euren Beichtiger eine Überraschung sein wird. Eure Eigenart ist allgemein bekannt, auch im Kloster, Bruder Jakob.«
»Was?«
»Die Novizen nennen Euch den bunten Jakob!« Kullerrunde Augen starrten Almut an, und sie lachte leise auf.
»Wie habt Ihr versucht, Eure modischen Kleider zu verstecken?«
»Mein Bruder bewahrt sie für mich auf. Bei ihm lege ich sie an, wenn ich das Kloster verlasse.«
»Und Ihr glaubtet, dann würde Euch niemand wiedererkennen. Aber Novizen haben scharfe Augen. Und manche Eurer Brüder auch.«
Gertrud und Franziska kamen mit je einem Korb Lebensmitteln aus der Vorratskammer zurück und plauderten noch immer eifrig.
»Verwendet das Garpoise, den Fastenspeck, wie Ihr auch Schweinespeck verwenden würdet, Frau Gertrud. In einer Suppe aus Bohnen oder Erbsen zum Beispiel. Es ist salzig und würzt das Gemüse recht hübsch. Aber Ihr müsst es den ganzen Tag kochen, es ist sehr hart.«
Almut sah die gesalzenen Fettstreifen an und fragte: »Wieso Fastenspeck, Franziska? Ist es nicht von warmblütigen Tieren?«
»Nein, es ist ein fetter Fisch!«
Bruder Jakob, dankbar für die Ablenkung, erklärte es genauer: »Es stammt von einem riesengroßen Seeungeheuer, das in den nördlichen Meeren gefangen wird. Man nennt es Wal, und es liefert Tran und Fleisch und Fischbein und ist wohl ein ganz nützliches Tier.«
»Na, dann können wir ja froh sein, dass es im Wasser lebt!«, stellte Gertrud trocken fest. »Almut, wollen wir zurückgehen?«
Sie verabschiedeten sich herzlich von der Adler-Wirtin und auch von Bruder Jakob, der sehr nachdenklich wirkte.
22. Kapitel
L euchte uns, Maria, du Licht im Palast des Himmels, Sonne von wunderbarer Klarheit, Mutter des Lichtes, Leuchte der Leuchten, Klarheit der Sterne, Stern des Meeres, allen himmlischen Ordnungen überstellt, am Zenit des Himmels stehend.«
Almut lehnte an dem offenen Fenster ihrer Kammer und blickte zu dem samtschwarzen, wolkenlosen Himmel empor. Es glitzerte und funkelte dort in der mondlosen Nacht wie ein mit Diamanten besticktes Tuch. Irgendwie wanderten ihre frommen Gedanken auf völlig undisziplinierte Art zu ihren eigenen Sommersprossen.
»Ob er wohl auch den Himmel sieht, Maria? Ob er wohl wirklich an mich denkt? Ich denke an ihn - leider viel zu oft. Obwohl ich mir große Mühe gebe, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren, gütige Mutter. Ich bitte dich, hilf mir dabei. Denn ich mache mir Sorgen, mehr und mehr. Nicht nur um Trine, sondern auch um
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