Die elfte Jungfrau
schwimmt: Du bist das Licht, das immer lebt...«
Almut saß bei Sonnenuntergang in ihrer Kammer und hielt in ihrem Gebet inne. Neben der Marienfigur stand jetzt das Holzkätzchen und blickte pfotenleckend ein bisschen herausfordernd die Gottesmutter an. Almut gefiel das Arrangement.
»Gütige Mutter der Barmherzigkeit, ich kann nicht glauben, dass es Bertram ist. Auch wenn Meister Krudener mir einen sehr glaubwürdigen Grund für seine Anfälle genannt hat. Aber nun gibt es die nächste Jungfrau, die sich vor ihrem Tod seltsam verhalten hat. Es hat den Anschein, als hätten die Mädchen sich alle verliebt - und zwar in einen wenig passenden Mann. Und darum haben sie sich heimlich mit ihm getroffen. So war das zumindest bei Gisela, der Stiftsjungfer, Christine und Sanna. Die Maike, die Sibill, die Gänse-Ursel und die Seidwebers Marie hingegen mochten ihn als passend erachtet haben. Von ihnen weiß ich noch das Wenigste. Aber sicher sind sie leichtsinniger als die vier anderen gewesen und hatten weniger Bedenken - etwa mit einem lustigen Mönch anzubandeln? Oder natürlich auch mit Alfi Selmecher? Aber sicher nicht mit Bertram, denn der scheint sich Mädchen gegenüber sehr schüchtern zu verhalten.«
Maria schien ihr angelegentlich zu lauschen, und Almut fühlte sich ermutigt, ihren Gedankengang weiterzuspinnen.
»Was ich gar bedenklich finde, ist die Tatsache, dass der Mann, der möglicherweise Christine vor das Fuhrwerk gestoßen hat, so eine Kopfbedeckung wie Krudener trug. Das mag den Gerüchten weitere Nahrung geben. Noch bedenklicher finde ich Mutter Mabilias nachlässige Haltung. Wirklich, Maria, du Gnadenvolle, sie ist sehr schlicht im Geiste. Schwester Ermentrude, die mir auch einen recht phlegmatischen Eindruck macht, ist zumindest praktischer veranlagt. Immerhin hat sie mich an der Pforte angehalten und mir neugierige Fragen gestellt. Und dabei verraten, die jüngste Novizin, diese Pia, sei in der letzten Zeit sehr unaufmerksam. Verträumt, launisch, appetitlos, dann wieder übermütig und zappelig.«
Almut faltete die Hände und sah in das sanfte Gesicht der Statue.
»Als wüsste ich nicht genau, was das zu bedeuten hat, Maria.«
War es der letzte Lichtschein des schwindenden Tages, der ein Lächeln auf das Antlitz der alles verstehenden Himmelskönigin zauberte?
»Ich hab’s gebeichtet, Maria, aber Pater Leonhard hat es völlig falsch verstanden. Darum brauchst du jetzt auch keine langweiligen Litaneien anzuhören.«
Vermutlich war der Engel Herrscherin froh darüber. Denn der zarte Glanz auf ihrem Gesicht schwand nicht. Erst als ein Wolkenstreif am Horizont das Licht der sinkenden Sonne verschluckte, wirkte es düsterer.
»Es ist bestimmt diese Pia gewesen, die Trine aufgesucht hat. Wegen eines Liebestranks. Mist, Maria, es kann gut sein, dass sie das nächste Opfer ist. Wie kann ich das Mädchen nur warnen? Trine muss sie mir noch einmal beschreiben. Oder ich nehme Trine mit zu Machabäern. Ja, das wird das Beste sein. Vielleicht überzeugt das sogar diese tumbe Äbtissin. Ja, und dann hat heute auch Lissa ziemlich verheult dreingeblickt, als die Meisterin ihre strenge Mahnung vorgetragen hat. Pitter meint, sie weine sich wegen Alfi die Augen rot, weil der von den Wachen abgeholt und in den Turm gebracht worden ist. Immerhin, Aziza ist wieder fröhlich. So vertraulich, wie sie mich gedrückt hat, möchte ich fast meinen, sie hat auch wieder eine neue Liebelei in Aussicht.« Dann überwältigte Almut ein glucksendes Lachen. »Und, Maria, Teufelchen ist auch rollig!«
Ein letztes Aufleuchten des Abendrotes gab dem Holzkätzchen einen besonders mutwilligen Anschein und der Maria ein unsagbar wissendes Lächeln.
»Ach!«, seufzte Almut mit einem Blick zum ersten Aufblinken des Abendsterns. Dann aber besann sie sich ihres eigenwilligen Gebetes und erzählte Maria von der erstaunlichen Einladung, die sie erhalten hatte. Gauwin vom Spiegel höchstselbst hatte seine Hausbestellerin zu den Beginen geschickt und sie der Meisterin die höfliche Bitte vortragen lassen, Frau Almut, der er zu tiefstem Dank verpflichtet sei, möge ihn am Montag nach der Sext in seinem Haus am Alten Markt besuchen kommen, damit er ihr persönlich seine Hochachtung aussprechen könne. Leider fühle er sich gesundheitlich noch nicht im Stande, selbst einen Besuch abzustatten, und so hoffe er, die Frau Begine möge ihm die kleine Unannehmlichkeit, den Weg zu ihm zu nehmen, verzeihen.
Magda hatte natürlich von dem
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