Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die elfte Jungfrau

Titel: Die elfte Jungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
Vom Netzwerk:
spornstreichs zum Gebet eilen, aber Barthel zögerte.
    »Singt Eure Psalmen hier, der Herr hört Euch auch unter freiem Himmel. Wahrscheinlich sogar noch besser!«, hatte Ivo vorgeschlagen, und Bruder Barthel hatte zustimmend gegrinst. Mit mächtiger Stimme hatte er dann zu seinen rhythmischen Hammerschlägen den sechsten Bußpsalm angestimmt, was den Worten: »Aus der Tiefe rufe ich, oh Herr, zu dir. Herr, höre meine Stimme!«, eine ganz neue Eindringlichkeit gab. Schon bald hatten die anderen mit großer Lust eingestimmt, und Ivo fand einen neuen, interessanten Zug an dem kräftigen Mönch. Denn die Melodie und der Rhythmus, nach denen er den Psalm vortrug, erinnerten ihn doch recht stark an ein bekanntes Trinklied.
    Danach war es zu der ersten ernsthaften Auseinandersetzung zwischen ihm und Godefried gekommen. Hinter verschlossenen Türen.
    Es würde nicht die letzte sein.
    Doch nun lag Stille über dem Hof und den Feldern. Nur leise raschelten die Zweige der alten Eiche über ihm, und eine schmale Mondsichel erhob sich zwischen den funkelnden Sternen. Ein schlanker Fuchs schnürte auf der Suche nach seiner Fähe den Feldrain entlang, und ein warnendes Piepsen eines jäh erwachten Vogels verstummte sehr plötzlich.
    Ivo vom Spiegel spürte die Kühle der Nachtluft kaum. Er schaute zum Firmament empor und schien Sterne zählen zu wollen. Doch seine Gedanken waren nicht auf die Unendlichkeit gerichtet, sondern rankten sich um ein Gesicht voller Sommersprossen. Es war nicht reines Glück, was ihn dabei durchfloss, sondern Zweifel und Sorge. Denn seit Theo ihn von der Möglichkeit in Kenntnis gesetzt hatte, er könne möglicherweise einen Dispens von seinen Gelübden erhalten, hatte er sich erstmals seit Jahren wieder erlaubt, an eine Zukunft zu denken. Eine Zukunft in der Welt und eine Zukunft, in der auch ein Weib eine Rolle spielen könnte.
    Seine harte Faust traf den Stamm der Eiche, und mit rauer Stimme fragte er den stummen Baum: »Wie kann ich ihr denn ein standesgemäßes Leben bieten?«
    Viel mehr als ein leises Ästeraunen hatte der Baum nicht zu bieten. Doch Ivo zählte ihm die Möglichkeiten auf, die er sich in den vergangenen Tagen ausgemalt hatte. Denn selbst wenn er das Kloster verließe, würde er doch nicht seinen Besitz zurückerhalten. Gut, er hatte Freunde, die ihm Geld leihen würden, um ein neues Leben zu beginnen. Vielleicht als Gelehrter an einer Universität. Das würde ihm selbst gefallen. Aber die Professoren mussten ebenfalls ledig bleiben. Auch ein Gut würde er gerne selbst führen, aber um Grundbesitz zu erlangen, brauchte es mehr als geliehenes Geld. Darum lieber der Fernhandel. Damit war einst seine Familie reich geworden. Er malte sich gute Aussichten aus, denn er kannte die fernen Länder und ihre Gebräuche, beherrschte Latein, Spanisch und Französisch. Aber auch das musste er zumindest in der ersten Zeit alleine bewerkstelligen. Lange Reisen konnte man doch einer jungen Frau nicht zumuten. Und ob die Begine wohl auf ihn warten würde?
    Er lehnte sich mit dem Rücken an den borkigen Stamm und starrte durch die knospenden Zweige zum Himmel empor. Er selbst war sich sicher, sicherer als je zuvor in seinem Leben, in dieser widerborstigen Begine eine Gefährtin gefunden zu haben, die ihm ebenbürtig war. Sie hatte Geist und Witz und eine unerschrockene Art, für jene einzutreten, die sie für schutzbedürftig hielt. Das waren durchaus nicht immer diejenigen, die darum bettelten. Sie hatte auch eine ihm selbst sehr ähnliche Art, ihren Verstand zu nutzen, was erfrischend war in einer Welt voller Heuchelei und Aberglauben. Außerdem erkannte sie die Lächerlichkeiten des Lebens und hatte ihn, nach langen Jahren der Bitterkeit, wieder das Lachen gelehrt. Sie war nicht immer vorsichtig, das stimmte schon, und gelegentlich geradezu aufsässig. Und doch hatte er sie erlebt, wie sie unbedenklich ihre Fürsorge verschenkte und dort um Barmherzigkeit und Gnade bat, wo andere strenge Urteile fällten. Ja, er hätte sie gerne an seiner Seite, die graue Begine. Aber ob sie seine Gefühle erwiderte? Sie war ihm freundlich gesinnt, das wohl. Sie lächelte oft, wenn er sie unerwartet traf, als ob sie sich darüber freute, das auch.
    »Verdammt, ich habe es jetzt vierzehn Jahre standhaft vermieden, an eine Frau in dieser Weise zu denken. Und sie hat es nie darauf angelegt. Aber... Herrgott, sie ist ein schönes Weib!«
    Ein Windstoß ließ die Äste über ihm leise knarren.
    Ivo vom Spiegel ließ

Weitere Kostenlose Bücher