Die elfte Jungfrau
Aufträge?«
»Meistens mein Vater. Aber es waren auch schon mal Mönche bei ihr und sogar jemand aus dem Domkapitel. Hat sie zumindest gesagt.«
»Die den Unfall gesehen haben, waren Nonnen, nicht wahr?«
»Von Machabäern.«
Magda und Esteban waren sich einig geworden, und die Meisterin zählte einige Münzen auf den Tisch. Almut fand es an der Zeit, das Gespräch mit dem Jungen zu beenden.
»Ich werde sie mal besuchen. Danke, Fabio. Wann immer dir etwas einfällt, gibt mir über Aziza Nachricht. Du besuchst sie bestimmt bald wieder.«
»Ja, mache ich. Und ich rede auch noch mal mit Vater.«
»Das solltest du nicht tun. Ich denke, er will auf seine Weise damit fertig werden.«
Esteban wandte sich an seinen Sohn und fragte: »Warum habt ihr die ganze Zeit getuschelt?«
»Wir wollten Euren Genuss am Handel nicht stören!«, antwortete Almut an seiner Statt, und der Reliquienhändler quittierte diese Beobachtung mit einem Grinsen. Er ging zu seinem Schrank und öffnete eine Lade. In ein Tüchlein eingeschlagen, reichte er ihr ein kleines Knöchelchen.
»Für den Mann Eurer Freundin Franziska - der heilige Simon!«
»Ob sie, wenn ich ihm das gegeben habe, noch freundliche Gefühle für mich hegt, wage ich zu bezweifeln.«
Sie schieden in gegenseitigem Einvernehmen, alle Parteien zufrieden mit dem, was sie erreicht hatten.
Auf dem Rückweg fragte Magda aber dann doch nach: »Was hast du mit dem Jungen nun wirklich zu tuscheln gehabt?«
Almut berichtete ihr von seinem Verdacht.
»Zieh das Kind nicht mit in diese Dinge hinein, Almut. Ich muss dich wirklich rügen!«
»Ich habe ihn nicht hineingezogen. Er hat Angst und ist wütend, weil ihn sein Vater nicht ernst nimmt. Magda, lass mich zu den Benediktinerinnen gehen und sie fragen, was an der Geschichte wahr ist. Vielleicht hat der Junge auch nur etwas falsch aufgeschnappt.«
»In Gottes Namen, dann besuche die Nonnen. Sag der Mutter Mabilia einen Gruß von mir. Aber sei geduldig mit ihr, sie ist von etwas trägem Gemüt.«
Magda war indessen von Almuts Überlegungen so weit betroffen, dass sie den jungen Schülerinnen in eigener Person einen eindringlichen Vortrag über die Gefahren hielt, die ihnen von Männern drohten, die es auf ihre Tugend abgesehen hatten. Es herrschte recht betretene Stille an diesem Morgen im Unterrichtsraum, als Almut ihn durchquerte, um ihren Besuch in dem kleinen Benediktinerinnen-Kloster zu machen, das nur wenige Schritte entfernt angesiedelt war.
Auch hier war der fröhliche Überschwang der Fastnacht einer Stimmung strenger Buße gewichen. Die Nonnen hatten eben die Gebete zur Terz beendet, als Almut am Tor vorsprach. Einige der Schwestern kannte sie, zwischen den Beginen und den Benediktinerinnen herrschte gute Nachbarschaft, und gelegentlich half man einander aus - entweder, wenn es um die Pflege von Kranken und die Aufbahrung von Verstorbenen ging, aber auch, wenn es sich um Handarbeiten handelte, die eilig fertiggestellt werden mussten. Die Nonnen waren es auch gewesen, die Trine und Almut in die Kunst der Fingersprache eingewiesen hatten.
Almut schritt in Begleitung der Pförtnerin durch den Klostergarten, der überaus gepflegt wirkte. Überall in den Beeten sprossen die ersten Kräuter aus dem dunklen Boden, die Obstbäume an der Mauer hatten dicke Knospen, die schon bald in den geschützten Ecken aufspringen würden, und einige vorwitzige Märzbecher blinzelten unter den Eiben am kleinen Lichthof hervor.
Mutter Mabilia empfing Almut freundlich und hörte sich ihre Fragen nachdenklich an. Sie selbst war an dem Unglückstag nicht auf dem Karren gewesen, sie war mit den fünf Novizinnen schon früher im Dom gewesen, um an den Dreikönigsfeiern teilzunehmen. Aber sie bat Schwester Ermentrude zu sich, die sich an die Ereignisse erinnerte.
Etwas weitschweifig erzählte die ältere Frau, wie sie sich zunächst sehr langsam durch das Gedränge gequält hatte. Das starke Ochsengespann hatte sich aber unerbittlich seinen Weg gesucht, und man war ihnen allenthalben ausgewichen. Nur einmal gab es am Straßenrand einen schrecklichen Tumult. In der Marzellenstraße sei es gewesen. Aus dem Pulk von Menschen sei ganz plötzlich eine Frau der Länge nach rücklings auf den Boden gefallen, gerade vor die Vorderräder des Wagens. Die schweren Ochsen waren nicht so schnell zum Halten zu bringen gewesen, obwohl sie alle aufgeschrien hatten. Das arme Weib sei von den Rädern förmlich zermalmt worden. Ermentrude schüttelte sich
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