Die Enden der Parabel
sein, frisch gesprengtes Pflaster mit ölbraunen Flecken, die Lkws unter olivgrünen Planen, jeder von ihnen Träger eines Geheimnisses ... aber er weiß, daß in einem, in einem einzigen von ihnen... und endlich, als er sie alle untersucht hat, erkennt er ihn, an einem unsagbaren Zeichen, klettert auf die Ladefläche, unter die Plane, und wartet in Staub und bräunlichem Licht, bis sich im beschlagenen Rechteck des Kabinenrückfensters ein Gesicht, ein Gesicht, das er kennt, nach ihm umzuwenden beginnt... Das ist der Angelpunkt all seiner Träume: das aufgehende Gesicht, das sich zu ihm wendet, bis sich die Blicke kreuzen ... in einem Deutschland, das wie London aussieht, auf der Pirsch nach Reichssieger von Thanatz Alpdrücken, dem flüchtigsten aller Nazihunde, dem Weimaraner-Jahressieger von 1941, der die Zuchtbuchnummer 416832 auf die Innenseite seines Ohres tätowiert trägt: und ständig weicht die lebergraue Form vor ihm zurück, trottet im Trümmerschutt des Krieges längs dämmrigen Kanälen zwischen Raketenexplosionen, die sie stets verfehlen, ihre Jagd verschonen, den feuergeätzten Stich, Plan einer Opferstadt, einer Hirnrinde, die halb menschlich und halb hündisch ist, mit dem hellen Widerschein der Winterwolken auf dem Schädel und locker baumelnden Hängeohren zu einem Schutzraum, der stahlarmierte Meilen tief unter der Stadt liegt, eine Oper von Balkanintrigen, in deren hermetische Sicherheit, in deren blau geballte, unregelmäßig synkopierte Dissonanzen er nicht gänzlich zu entkommen vermag, denn wie immer hält der Reichssieger stand, läßt sich nicht löschen, führt die Spitze, gelassen und heiter, und dem zu folgen kehrt er denn zurück, muß immer wiederkehren, in einem Fieberrondo, bis sie zuletzt, am Ende eines langen Nachmittags voller Meldungen vom Harmageddon, zwischen scharlachroten Bougainvilleabeeten und staubüberflimmerten, goldenen Schneisen auf einem Hügel angelangt sind, wo Stimmen aus der Luft vor den Rauchsäulen über dem Spinnennetz der Stadt, die sie gerade durchquert haben, von Südamerika berichten, das ganz zu Asche verbrannt ist, vom Himmel über New York, den die neuen, allgewaltigen Todesstrahlen in glühendes Purpur verwandelt haben ... und hier nun endlich ist der Ort, wo der graue Hund sich umwenden und sein bernsteingelber Blick starr in die Augen Pointsmans fallen kann ...
Bei jeder solchen Wendung, wann immer sie ihn trifft, durchpulst ihm Herz und Blut ein Schlag, der ihn in jubilierende Höhen katapultiert, in eisblaues Meerleuchten und den Schmelzbrand von Thermit, und er beginnt, sich auszudehnen, ein überbordendes Licht, das die Wände der Kammer blutrot, orange und weiß zum Glühen bringt, bis sie zu gleiten und wie Wachs davonzufließen beginnen, bis das Labyrinth in konzentrischen Ringen nach außen fällt, Held und Entsetzen, Ingenieur und Ariadne vereinigt, eingeschmolzen sind in seinem Licht, im tollwütigen Explodieren seiner selbst...
Jahre liegt das zurück: Träume, die fast vergessen. Schon längst stehen die
Zwischenhändler zwischen ihm und seinem letzten Gegner. Sie verweigern ihm
sogar die kleine Perversität, in seinen eigenen Tod verliebt zu sein ...
Doch nun, da Slothrop mit im Spiel ist - der jähe Engel, die thermodynamische
Überraschung, was immer er sein mag -, wird sich jetzt etwas ändern? Wird
Pointsman seinen Kampf mit dem Minotauros doch noch kriegen?
Slothrop müßte inzwischen an der Riviera sein, warm, wohlversorgt, mit einem guten
Fick. Doch hier im englischen Spätwinter streunen die Hunde, schon ad acta gelegt, noch zwischen Gassen und Hinterhäusern, schnüffeln an Mülltonnen, rutschen über Schneeteppiche, balgen sich, flüchten, zittern in ihren nassen Pfützen aus Preußischblau ... versuchen, dem aus dem Weg zu gehen, was sie nicht riechen und nicht sehen können, was mit dem Gebrüll eines so absoluten Räubers über sie kommt, daß sie sich winselnd in den Schnee werfen und auf den Rücken rollen, um ihm ihre weichen, ungeschützten Bäuche darzubieten ...
Hat Pointsman sich von ihnen losgesagt? Zugunsten eines unerprobten menschlichen Versuchskaninchens ? Glaubt nicht, daß er nicht seine Zweifel hätte, was das Funktionieren dieses neuen Schemas angeht. Um seine "Rechtmäßigkeit" soll sich Vikar de la Nuit sorgen, er ist schließlich der Stabsgeistliche. Aber... was ist mit den Hunden? Mit ihnen kennt Pointsman sich aus. Er hat die Schlösser ihres Bewußtseins geknackt, nach allen Regeln der Kunst.
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