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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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Zecher, der in den Liedern und Legenden seines Stammes gefeiert wird, ein geradliniger Nachfahre jenes Walisers, der in Heinrich V. herumgeistert und den Leuten ständig seinen Lauch aufnötigt. Doch alles andere als ein verhockter Schlucker. Noch nie hat Pointsman ihn auf seinen vier Buchstaben, oder auch nur im Stillstand, erlebt -hektisch und unermüdlich poltert und rollt er, Schluß jetzt, ihr Schlußlichter! durch seine langen Reihen von kranken und sterbenden Gesichtern, und selbst Pointsman hat eine Art von rauher Liebe in seinen winzigen Gesten, in den Nuancen von Atmung und Stimme verspürt. Es sind Schwarze, Hindus, Aschkenasim, die Dialekte sprechen, die man in Harley Street noch nie vernommen hat. Sie sind ausgebombt worden, sind halb erfroren und fast verhungert, haben in Elendsquartieren gehaust, und ihre Gesichter, selbst die der Kinder, verraten eine uralte Vertrautheit mit dem Schmerz, mit Niederlagen, die Pointsman nur verwundern kann, der auf den WestEnd-Katalog dezenter Zeichen und Symptome eingeschworen ist, auf kopfentsprungene Appetitstörungen und Konstipationen, für die der Waliser wohl wenig Geduld aufbrächte. Auf Gwenhidwys Stationen sinken manche GUs bis auf -35, -40 ab. Weiße Linien verdicken sich auf den Röntgengespenstern der Skelette, graue Abstriche aus Mundhöhlen erblühen unter seinem alten, mattschwarzen Mikroskop zu ganzen Wolken von yincentschen Invasoren, die mit widerlich schnappenden kleinen Fängen darauf lauern, das vitaminlose Gewebe, dem sie entstammen, zu zerfressen. Alles in allem ein völlig anderes Gebiet, nicht wahr? "Mann, ich versteh es nicht - nein, auch beim besten Willen nicht", zeitlupig schwingt der dicke Arm aus seinem igelfarbenen Cape, deutet zurück auf das Spital, während sie durch das Schneetreiben stapfen - für Pointsman eine klare Teilung, hier die Mönche, dort der Dom, Soldaten und Garnisonetwas ganz anderes für Gwenhidwy, der immer einen Teil von sich als Geisel dort zurückläßt. Die Straßen sind menschenleer, Weihnachtstag, die beiden gehen hinauf zu Gwenhidwys Wohnung, und der geräuschlose Schneevorhang zieht sich immer dichter zwischen sie und die bröckelnden Mauern der Anstalt, die mit steinerner Paralaxe in die weiße Düsternis schwinden. "Wie sie es überdauern. Die Armen, die Schwarzen. Und die Juden! Die Waliser, sie sollen auch einmal Juden gewesen sein? Einer der verlorenen Stämme Israels, ein schwarzer Stamm, der über die Erde irrte, jahrhundertelang? Eine unglaubliche Reise. Bis sie schließlich nach Wales kamen, nicht wahr." "Wales... "
    "Wo sie sich niederließen und sich Kymren nannten. Wir könnten alle Juden sein, nicht wahr? Alle verstreut, wie Samenkörner? Die immer noch von jener allerersten Faust wegfliegen, seit Ewigkeiten. Mann, daran glaube ich!"
    "Ganz klar, daß Sie daran glauben, Gwenhidwy." "Sind wir's dann nicht? Wie steht's mit Ihnen?" "Weiß nicht. Ich fühle mich heute nicht als Jude." "Ich habe vom Wegfliegen gesprochen?" Er hat vom Alleinsein gesprochen, von der Vereinzelung: Pointsman weiß, was er meint. Etwas in ihm fühlt sich berührt, ganz überraschend. Er spürt den weihnachtlichen Schnee in den Schlitzen seiner Stiefel, die bittere Kälte, die sich Einlaß verschaffen will. In seinem äußersten Augenwinkel bewegt sich Gwenhidwys braunwollene Flanke, eine Tasche voll Farbe, ein Bollwerk gegen den immer weißeren Tag. Wegfliegen. Fliegen ... Gwenhidwy, der Koloß mit der Kapuze, den Eisstaub fast verdeckt bei dieser Kopfbewegung, er sieht so unzerstörbar aus, so gegen Ausrottung gefeit, daß sich die alte, taumelnd besoffene, klappernde Angst wieder erhebt von ihrem Lager, der Fluch des Buches - und hier ist einer, den er ehrlich und mit allen Fasern seines schwachen Herzens bewahrt sehen möchte... auch wenn er stets zu schüchtern war, oder zu stolz, Gwenhidwy anzulächeln, ohne das Lächeln mit irgendwelchen Worten zu motivieren und zu entwerten ... Hunde laufen auf sie zu, verbellen ihre Ankunft. Pointsman scheucht sie mit seinem Professionellen Blick. Gwenhidwy summt "Aberystwyth". Estelle, die Tochter des Pförtners, erscheint mit ein, zwei bibbernden Knirpsen an den Rockschößen und einer Weihnachtsflasche, deren Inhalt ätzend schmeckt, aber die Brust schön wärmt, sobald er erst mal eine Minute unten ist. Gerüche nach Kohlenrauch, nach Pisse, Abfall und dem Eintopf von gestern abend erfüllen den Flur. Gwenhidwy trinkt gleich aus der Flasche, macht Kommtein-Mäuschen bei Estelle

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