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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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Mayfair hineinfließt, nach Soho, hinüber bis Wembley und hinauf nach Hampstead Heath - in alle Richtungen strömt dieses glänzende, vielfarbene, hie und da abblätternde Firmament, Carolines, Marias, Annes, Susans, Elizabeths.
    Aber vielleicht sind die Farben ja nur zufällig, uncodiert. Vielleicht existieren diese Mädchen nicht einmal. Von Tantivy, den er wochenlang unauffällig ausgefragt hat (wir wissen ja, er ist Ihr Studienkamerad, aber es wäre zu riskant, ihn einzuweihen), weiß Bloat nur, daß Slothrop im vergangenen Herbst mit dieser Sternchenkleberei begonnen hat, etwa zu dem Zeitpunkt, als er erstmals für ACHTUNG die Einschlagstellen der Raketenbomben inspizierte - offensichtlich blieb ihm Zeit genug, sich während seiner Fahrten zwischen den Todesstätten der Mädchenjagd zu widmen. Und was die Gründe anlangt, alle paar Tage neue Sterne anzubringen, so hat der Mann sie nicht erklärt. Ohnehin scheint es ihm nicht um Publicity zu gehen, denn Tantivy ist der einzige, der überhaupt gelegentlich einen flüchtigen Blick auf die Karte wirft, und das mehr in der Art eines leutseligen Anthropologen - "irgend so 'n harmloses Yank-Hobby", erklärt er seinem Freund Bloat, "vielleicht macht er das, um den Überblick nicht zu verlieren. Sein soziales Leben ist ziemlich kompliziert", worauf er zur Geschichte von Lorraine und Judy übergeht, von Charles, dem schwulen Polizisten, und dem Klavier im Möbelwagen, von der bizarren Maskerade Glorias und ihrer jugendlichen Mutter, einer Pfundwette beim Spiel Blackpool gegen Preston
    North End, einer liederlichen Version von "Stille Nacht, heilige Nacht" und einem Nebel, den die Vorsehung geschickt hat. Keine dieser Schnurren aber ist für die Zwecke jener, denen Bloat Meldung macht, sonderlich erhellend... Tja. Geschafft. Tasche zu, Lampe aus und zurückgeschwenkt, so wie sie war. Vielleicht bleibt ihm noch Zeit genug, Tantivy drüben im Schnepfe und Pfeil abzufangen, Zeit für einen kameradschaftlichen Schluck. Im trüben, gelben Licht durchquert er das Spanplattenlabyrinth zum Ausgang, gegen eine Flut hereindrängender Mädchen in Galoschen, Bloat unlächelnd, zugeknöpft, jetzt ist nicht die Zeit, Hintern zu tätscheln, sein Auftrag ist noch nicht beendet...

 [1.4] Slothrop's Vorfahren

    Der Wind hat nach Südwest gedreht, und das Barometer fällt. Unter dem Stau der Regenwolken ist der frühe Nachmittag schon abendlich düster. Slothrop wird naß werden. Er hat eine endlose, idiotische Hetzerei hinter sich, hinaus zum Nullmeridian, Resultat auch Null, wie üblich. Diese hier war anscheinend wieder mal vorzeitig explodiert, glühende Raketentrümmer waren im Umkreis von mehreren Kilometern heruntergeregnet, die meisten davon in den Fluß, nur ein einziges größeres Stück war einigermaßen erhalten, und das wurde bereits von einem Sicherheitskordon abgeriegelt, als Slothrop hinkam, dichter und unfreundlicher denn je. Weiche, verschossene Barette gegen schiefergraue Wolken, Mark-IIIMaschinenpistolen entsichert und auf Dauerfeuer gestellt, mundbreite Schnurrbärte vor wulstigen Oberlippen, total humorlos - keine Chance für einen amerikanischen Lieutenant, hier und heute etwas zu Gesicht zu kriegen.
    ACHTUNG ist sowieso nur der arme Verwandte unter den alliierten Geheimdiensten. Aber diesmal ist Slothrop wenigstens nicht allein: Voll kalter Genugtuung hat er beobachtet, daß sein Kollege von der Technical Intelligence und kurz darauf selbst dessen Vorgesetzter, der in einem 37er Wolseley Wasp auf der Szene erschien und den großen Mann markierte, ebenfalls zurückgewiesen wurden. Ha! Keiner von den beiden erwidert Slothrops liebenswürdiges Kopfnicken. Mir gleich, Leute. Der gerissene Slothrop bleibt jedenfalls am Ball, verteilt Lucky Strikes und wartet, bis er wenigstens erfährt, warum dieser Streich hier so unlucky aussieht. Das Ding, um das es geht, ist ein Graphitzylinder von etwa fünfzehn Zentimeter Länge und fünf Zentimeter Durchmesser, militäroliv gestrichen, jetzt freilich ganz verkohlt. Das einzige Teil, das den Sturz überstanden hat. Sollte es offensichtlich auch. Innen scheinen Papiere versteckt zu sein. Der Sergeant-Major verbrannte sich die Finger, als er es aufheben wollte, er brüllte vernehmlich oh fuck (Gelächter bei den niedrigeren Diensträngen). Alle warteten auf einen Captain Prentice von der S. O. E. (diese blöden Schweine lassen sich ja auch immer Zeit!), der in diesem Augenblick erscheint. Slothrop sieht ihn nur von weitem -

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