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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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windgegerbtes Gesicht, 'n ziemlich harter Knochen. Dieser Prentice schnappt sich also den Zylinder, fährt damit weg, und die Sache hat sich.
    In welchem Falle, schätzt Slothrop, sein ACHTUNG, schon etwas mürrisch, die fünfzigmillionste interne Eingabe an diese S. O. E. machen darf, die ebenso ignoriert werden wird wie alle anderen. Okay, nur kein Groll! S. O. E. ignoriert alle, und alle ignorieren ACHTUNG. Was juckt das ihn? Es war seine letzte Rakete, jedenfalls für eine ganze Weile. Besser noch für immer.
    Heute morgen hat er in seinem EIN-Körbchen einen TDY-Befehl gefunden, eine vorübergehende Abstellung an ein Spital im East End. Keine Erklärung dabei, nur der angeheftete Durchschlag eines Briefs an ACHTUNG, in dem er als Versuchsperson zur Teilnahme am "P.W.E.-Testprogramm" angefordert wird. Testprogramm? "P.W.E." steht für Political Warfare Executive, das hat er nachgeschlagen. Wieder etwas von diesem multiphasischen Minnesota-Scheiß, zweifellos. Aber wenigstens eine Abwechslung von der Raketenjägernummer, die fing schon an, ein wenig Staub anzusetzen.
    Lang, lang ist's her, da hat Slothrop den ganzen Kram mal ernst genommen. Ehrlich! Zumindest glaubt er's heute. Das meiste von vor '44 wird schon langsam unscharf. An den ersten "Blitz" erinnert er sich nur noch wie an eine lange Glückssträhne. Nichts, was die Luftwaffe runterschmiß, fiel in seine Nähe. Aber diesen Sommer fingen sie mit den "Buzzbombs" an. Man ging die Straße entlang oder döste im Bett, da kam plötzlich dieses furzende Geräusch über die Dächer. Wenn es nur weiterflog und wieder leiser wurde, hatte man Schwein gehabt, dann war ein anderer dran ... wenn das Triebwerk aber aussetzte, dann Vorsicht, Sportsfreund, dann kam es runter, die Leitung zur Brennkammer war gekappt, der Saft spritzte in die Luft, und man hatte noch zehn Sekunden, um in Deckung zu gehen. Tja, so schlimm war's auch wieder nicht. Nach einiger Zeit hatte man sich gewöhnt, schloß schon mal kleine Wetten ab, um einen Shilling oder zwei, mit Tantivy Mucker-Maffick vom Nebentisch, wo wohl der nächste Brummer einschlagen würde. Doch dann, diesen September, kamen die Raketen. Diese verfluchten Scheißraketen. An diese Bastarde konnte man sich nicht gewöhnen. Ausgeschlossen. Zum erstenmal, zu seiner eigenen Überraschung, spürte er wirkliche Angst. Er trank mehr, schlief weniger, wurde Kettenraucher, fühlte sich irgendwie verschaukelt. Herrgott, so konnte das doch nicht ewig weitergehen... "Sag mal, Slothrop ... du hast doch schon eine auf der Lippe..." "'n bißchen nervös", Slothrop zündet sie trotzdem an. "Schön, aber dann bitte nicht meine", fleht Tantivy.
    "Zwei auf einen Streich, siehste?" Er läßt die beiden Zigaretten aus den Mundwinkeln hängen wie Fangzähne in einem Comic. Die beiden Lieutenants starren einander durch die bierigen Schatten hindurch an, während vor den hohen, kalten Fenstern des Schnepfe und Pfeil der Tag verdämmert und Tantivy jeden Augenblick in Gelächter oder O-Gott-Gestöhne ausbrechen wird, am anderen Ufer dieses Holzatlantiks von Wirtshaustisch.
    Atlantiks gab es die Menge in den vergangenen drei Jahren und oftmals rauhere als jenen, den William, der erste transatlantische Slothrop, viele Ahnen zuvor überquert hatte. Barbarei in Kleidung und Rede, entgleisendes Benehmen - eines grauenhaften Abends handelte ein besoffener Slothrop im Junior Athenaeum sich und Tantivy, dessen Gast er war, einen hochkantigen Rausschmiß ein, als er mit dem Schnabel einer ausgestopften Eule auf die Halsschlagader von DeCoverley Pox losging, der, auf den Billardtisch zurückgeworfen, Slothrop einen Stoßball in die Kehle zu rammen versuchte. Vorfälle dieser Art ereignen sich betrüblich oft. Und doch ist Freundlichkeit ein Schiff, stabil genug für solche Ozeane. Immer ist Tantivy da, errötend oder lächelnd, und Slothrop staunt, daß nie, wenn's wirklich darauf ankam, Tantivy ihn im Stich gelassen hat.
    Slothrop weiß, daß er alles, was ihn beschäftigt, vor Tantivy ausbreiten kann. Nur ganz am Rande gehört der erotische Tagesbericht dazu, diesmal betreffend Norma (Nymphchenbeine mit Grübchen, Typ Cedar Rapids) und Marjorie (elegantes Hochgewächs ä la Windmill-Tanztruppe) sowie die merkwürdigen Vorkommnisse vom Samstagabend im Frick Frack Club in Soho, einem übelbeleumundeten Etablissement mit wandernden Lichtspielen in vielen Pastellfarben, in dem OFF LIMITS- und NO JITTERBUG DANCING-Schilder die vielen Sparten Polizei

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