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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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zufriedenstellen sollen, die hin und wieder reinschauen, militärische und zivile, was immer sich heutzutage hinter dem Wort "zivil" verbergen mag, und in dem Slothrop, wider alle Wahrscheinlichkeit, durch irgendein unaussprechliches, geheimes Komplott, statt der einen, die er treffen wollte, gleich alle beide vorfand, sauber nebeneinander aufgereiht, planvoll in sein Gesichtsfeld plaziert, genau über der blauwollenen Schulter eines Maschinisten dritter Klasse, genau unter der lieblichen, nackten Achselhöhle eines lindytanzenden, im Schwung zur Pose erstarrten Mädchens, die Haut mit lavendelfarbenen Lichtpunkten gesprenkelt - und dann, Paranoia flammt auf, die beiden Gesichter wenden sich ihm zu ... Es trifft sich, daß beide junge Damen auf Slothrops Stadtplan als silberne Sterne erscheinen. Er muß sich beide Male silbern gefühlt haben, strahlend, klingelig. Die Sterne, die er aufklebt, sind nur farbig, um zu seinen Gefühlen am jeweiligen Tag zu passen, von blau bis rauf zu golden. Es läge ihm fern, damit jemanden zu klassifizieren - wie könnte er? Keiner außer Tantivy bekommt die Karte zu sehen, und außerdem, lieber Himmel, sie sind doch alle schön ... als Blätter und Blüten umkränzen sie seine überwinternde Stadt, in Teestuben, Schlange stehend, eingemummelt in Babuschkas und Mäntel, seufzend, niesend, mit florbestrumpften Beinen an Bordsteinkanten, Autos anhaltend, tippend, Akten ablegend, während gelbe Bleistifte aus ihren Pompadourfrisuren sprießen, sie laufen ihm einfach zu -Puppen, Dämchen, Pullovermiezen -, gut, mag sein, daß es ein wenig obsessiv wirkt, aber ... "Ich weiß, daß es wilde Liebe und Wonne genug gibt in der Welt", predigte Thomas Hooker, "so wie wilder Thymian und andere Krauter auf dem Felde wachsen. Unser Teil aber ist Gartenliebe und Gartenwonne, aus Gottes eigenen Pflanzen." Und wie er gedeiht, der Garten Slothrops! Da sind Beete mit Frauenschuh, mit Vergißmeinnicht, mit Blutstropfen, und überall dazwischen finden sich, purpurn und gelb wie Liebesbisse, viele, viele wilde Stiefmütterchen. Er erzählt ihnen gerne etwas über Leuchtkäfer. Englische Mädchen haben von Leuchtkäfern keine Ahnung. Das ist übrigens so gut wie alles, was Slothrop mit Sicherheit über englische Mädchen weiß.
    Der Stadtplan bleibt Tantivy ein Rätsel. Die wohlbekannte, vulgäre amerikanische Großmäuligkeit erklärt ihn nicht, es sei denn, er wäre ein Studentenzeit-Reflex in einem Vakuum, ein Reflex, gegen den Slothrop nicht ankann, der ihn treibt, in leere Labors hineinzubellen, in die Maulwurfsgänge hallender Korridore, lange noch nachdem der Drang verklungen ist und die Verbindungsbrüder abmarschiert sind in den WK-Zwo, wo das große Sterben schon auf sie wartet. Slothrop ist wirklich nicht scharf drauf, über seine Mädchen zu sprechen. Tantivy muß ihn diplomatisch auf den Punkt bringen, selbst heute noch. Ursprünglich hat Slothrop, der kuriose Gentleman, ja überhaupt nichts erzählt - bis er merkte, wie schüchtern Tantivy war. Da dämmerte es ihm, daß Tantivy insgeheim hoffte, er könnte auch für ihn einmal ein Rendezvous vermitteln. Etwa zur selben Zeit begann auch Tantivy, das Ausmaß von Slothrops Einsamkeit zu begreifen. Mit Ausnahme einer Unmenge von Mädchen, die er kaum jemals wiedersah, schien er in ganz London keinen einzigen Menschen zu haben, mit dem er über irgend etwas hätte sprechen können.
    Dennoch bringt Slothrop, unschuldig und gewissenhaft, seine Karte täglich auf den neuesten Stand. Inmitten jäher Zerstörungen, die aus dem Himmel kommen, mysteriöser Befehle, die ihn aus dunklen Nächten erreichen, welche für ihn selbst nur Leerlauf sind, feiert dieser Stadtplan die Vergänglichkeit, im besten Fall, feiert ein Fließen, aus dem sich Slothrop hie und da einen Augenblick zu stehlen vermag - die Wärme von Jennifers Brüsten unter der klammen Wolle ihres Pullovers, während die Tage kälter werden, es morgens schon friert, mitten in einem rauchigen Flur, dessen Tagesverzweiflung er nie ahnen wird ... eine Tasse Bovril, die kochendheiß sein nacktes Knie sengt, während Irene, nackt wie er in einem Zelt aus gläsernem Sonnenlicht kostbare Nylons einzeln in die Höhe hält, um sich ein Paar ohne Laufmaschen zusammenzufinden, und jeder Strumpf hell aufschimmert im Licht, das durch das winterliche Spalier hereindringt ... nasales Gesinge gewitzter amerikanischer Mädchenstimmen, das die spitze Nadel der Musiktruhe von Allisons Mutter aus den Rillen

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