Die Enden der Parabel

Pfingsten am Meer zu verbringen. Er fühlt sich dieser Tage ein wenig megalo, kein Grund zur Sorge aber, es kommt nie schlimmer als, na, zum Beispiel der Eindruck, wenn er durch die Korridore der "Weißen Visitation" streift, daß alle anderen in unverwechselbarem Parkinsonschem Rigor erstarrt sind, während er allein beweglich und agil geblieben ist. Inzwischen herrscht auch wieder Frieden, die Tauben hatten einen schweren Stand auf dem Trafalgar Square in der V-E-Nacht, im Institut war die gesamte Mannschaft stockbesoffen, lag sich in den Armen, küßte sich ab, nur der Blavatsky-Flügel aus der Psi-Sektion war außer Haus, wie jedes Jahr am Weißen-Lotus-Tag auf seiner Pilgerfahrt nach Nummer 19 in der Avenue Road, St. John's Wood.
    Man hat jetzt wieder Zeit für Ferien. Pointsman spürt eine gewisse Verpflichtung, mit gutem Beispiel voranzugehen, obwohl es da natürlich noch Die Krise gibt. Aber ein Führer muß demonstrieren, daß er sich in der Gewalt hat, bis hin zu, und inklusive, einer Ferienlaune - auch und gerade mitten in der Krise.
    Seit beinahe einem Monat hat man von Slothrop nichts mehr gehört, seit diese unfähigen Arschlöcher vom militärischen Geheimdienst ihn in Zürich verloren haben. Pointsman ist ziemlich sauer auf die Firma. Seine ausgeklügelte Strategie scheint sich zum Schlag ins Wasser zu entwickeln. In den ersten Diskussionen mit Clive Mossmoon und den anderen schien es noch narrensicher: Slothrop aus dem Casino Hermann Goering entkommen und seine künftige Überwachung statt PISCES dem Secret Service zu überlassen. Was auch aus wirtschaftlichen Gründen unumgänglich war. Die ständige Überwachung ist der allerspitzeste Dorn in der Krone der Finanzprobleme, die zu tragen Pointsman für die Dauer des Projekts verurteilt scheint. Sie wird noch sein Untergang sein, diese verfluchte Finanzierung, falls Slothrop ihn nicht schon vorher in den Wahnsinn treibt.
    Pointsman hat Mist gebaut. Er hat nicht mal den Tennysonschen Trost, sagen zu können, daß "irgend jemand" Mist gebaut habe. Nein, er war's, er allein, der dem gemischten anglo-amerikanischen Doppel Harvey Speed und Floyd Perdoo die Erlaubnis gegeben hat, einer Stichprobe der Slothropianischen Sex-Abenteuer nachzuspüren. Es kostete nicht sein Geld, und was konnte es schon schaden? Glücklich wie Kinder und eifrig wie die Heinzelmännchen hatten sie sich in den erotischen Poisson gestürzt. Don Giovannis Karte von Europa - in Italien 640, in Deutschland 230, 100 in Frankreich und 90 in der Türkei, aber, aber, aber - in Spanien! in Spanien, 1003! - war zu Slothrops Stadtplan von London geworden, und die beiden Schnüffler haben sich derart mit der hier draußen herrschenden Sucht nach besinnungslosen Lüsten infiziert, daß sie inzwischen ganze Nachmittage in den Gärten irgendwelcher Restaurants über Chrysanthemensalaten und Lammkasserollen verhocken oder um Obstkarren herumalbern "Hey, Speed, guck mal, Cantaloupes! Davon hab ich seit der Dritten Amtsperiode keine mehr zu Gesicht bekommen - uff, riech mal an der-hier, ist es nicht traumhaft! Sag mal, Speed, wie war's mit so 'ner Cantaloupe? Ha? Na los schon!" "Prächtige Idee, Perdoo, prächtig!"
    "Äh-hm ... du suchst dir doch eine aus, die dir gefällt, nicht wahr?" "Ich-eine-mir?"
    "Yeah. Das hier ist die", er dreht ihm die Melone entgegen, wie rauhe Schurkenhände den hilflosen Mädchenkopf herumreißen, "die ich mir ausgesucht hab, siehste?"
    "Aber, aber, ich dachte, daß wir zusammen -" schwach auf
    das deutend, was er noch immer kaum als Perdoos Cantaloupe akzeptieren kann, in deren intarsiertem Netz, zwischen den Kratern des bleichen Mondes, nun tatsächlich ein Gesicht entsteht, das Gesicht einer gefangenen Frau mit gesenkten Augen und persisch-sanften Lidern drüber...
    "Tja, nein, ich, äh, normalerweise -" peinvoll ist das für Perdoo, fast so, als solle man sich für das Essen eines Apfels rechtfertigen oder sogar dafür, daß man sich eine Traube in den Mund schiebt - "also, normalerweise, verschlinge ich sie, äh, im... im Stück, verstehst du", wozu er möglichst verbindlich kichert, um höflich auf die soziale Seltsamkeit der Diskussion hinzuweisen -
    - was Speed aber ganz falsch versteht: nämlich als Indiz für eine mentale
    Dysfunktion bei diesem etwas eckigen Amerikaner mit dem gelinden Pferdegebiß,
    der jetzt, schlaksig wie eine Straßenpuppe im Wind, von einer englischen Vortreppe
    zur nächsten tänzelt. Kopfschüttelnd sucht er sich nichtsdestoweniger