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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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Kontaktmann im Cafe l'Eclipse treffen, ein Stück zu Fuß von der Buslinie, am Ende einer katzen-kopfgepflasterten Straße, die auf einen winzigen Platz mündet, der eingerahmt ist von Obst- und Gemüseständen mit beigefarbenen Markisen, kleinen Läden, anderen Cafes, Blumenkästen, sauber gespritzten Gehsteigen. Hunde rennen herum, rein in die Gassen und raus. Slothrop sitzt bei Kaffee, Croissants und seiner Zeitung. Bald brennt sich die Sonne durch die Wolkendecke. Schatten fallen über den Platz, fast bis zu dem Tisch, an dem Slothrop sitzt, sämtliche Antennen ausgefahren. Niemand scheint ihn zu beobachten. Er wartet. Die Schatten ziehen sich zurück, die Sonne steigt, beginnt zu fallen, und endlich taucht sein Mann auf, genau wie beschrieben: Anzug in Buenos-Aires-Tagesschwarz, Schnurrbart, goldgeränderte Brille, einen alten Tango von Juan d'Arienzo pfeifend. Slothrop wühlt unübersehbar in seinen Taschen, zieht mit großer Geste eine fremdländische Banknote hervor, die ihm Squalidozzi mitgegeben hat: wirft einen stirnrunzelnden Blick darauf, steht auf, geht rüber.
    Como no, senor, kein Problem, einen 50-Peso-Schein zu wechseln - ein Platz wird ihm angeboten, das Geld herausgekramt, Notizzettel, Karten sind dabei, bald ist der Tisch übersät mit Papieren aller Art, die schließlich wieder in die Taschen zurücksortiert werden, wobei der Fremde Squalidozzis Botschaft einsteckt und Slothrop eine, die er Squalidozzi überbringen soll. Und damit hat sich's. Zurück nach Zürich mit dem Nachmittagszug, in dem er den größten Teil der Fahrt verschläft. Er steigt in Schlieren aus, zu einer unchristlich dunklen Stunde, nur für den Fall, daß SIE den Hauptbahnhof überwachen, und findet einen Autofahrer, der ihn bis zur Peterhofstatt mitnimmt. Die mächtige Kirchturmuhr schwebt über ihm und den menschenleeren Gassen mit einem Ausdruck, den er jetzt als dumpfen Haß erkennt. Er erinnert ihn an die quadratischen Ivy-League-Höfe einer fernen Jugend, an Uhrtürme, die so schwach erleuchtet waren, daß man die Stunde nie erkennen konnte, an eine Versuchung, obwohl damals weniger stark als jetzt, sich dem dunkler werdenden Jahr zu ergeben, soviel als möglich in sich einzulassen vom wahren Schrecken dieser Stunde ohne Namen (außer, er wäre... nein... NEIN ...): Es war die Leere, wie seine puritanischen Vorfahren sie gekannt hatten, die Vanitas, die Knochen und Herz preisgab dem Nichts, die hinter schmachtenden CollegeSaxophonen, weißen Blazern mit Lippenstiftflecken an den Aufschlägen, den Rauchkringeln nervöser Fatimas, den Duftwolken von Castile-Seife aus glänzendem Haar, von Pfefferminzküssen und taufeuchten Nelken lauerte mit dem Nichts. Es war der morgendliche Überfall von Scherzbolden aus dem jüngeren Jahrgang, mit verbundenen Augen aus dem Bett gezerrt und in die Herbstkühle geschleppt werden, Hey, Reinhardt, welkes Laub und Schatten unter den Füßen, und der Augenblick des Zweifels, die Befürchtung, es könnte wirklich jemand anderes sein - es könnte der Augenblick des Erwachens sein, vor dem nichts wirklich war, alles nur eine kunstvolle Inszenierung, um ihn zum Narren zu halten. Doch inzwischen ist die Leinwand dunkel, ist keine Zeit mehr übrig. Die V-Männer sind, endlich, wirklich, da...
    Welche Stadt wäre geeigneter, diese Leere wiederzufinden, als Zürich? Hier ist das Land der Reformation, die Stadt Zwingiis, des Mannes am Ende jeder Enzyklopädie, und steinerne Mahnungen stehen überall. Spione und Big Business bewegen sich rastlos zwischen den Grabsteinen. Nimm Gift darauf, daß hier, in gerade dieser Stadt, ex-junge Männer an der Arbeit sind, Gesichter, die Slothrop aus den CollegeHöfen kennen könnte, die in Harvard in die puritanischen Mysterien eingeweiht wurden: die heilige Eide geschworen haben, die Vanitas als ihre Herrscherin zu respektieren und stets in ihrem Namen zu handeln... Agenten der Leere, die Lebensplan Nummer so-und-so in die Schweiz verschlagen hat, wo sie für Allen Dulles und seine Abwehr arbeiten, die noch auf den Namen "Office for Strategic Services" hört. Doch für die Eingeweihten ist OSS ein Akronym mit einem geheimen Sinn: ein Mantra für den Augenblick akuter Krise, das man sie gelehrt hat, sich innerlich vorzusprechen, oss ... oss, das tote, verwunschene, mittellateinische Wort für Knochen ...
    Als Slothrop sich am nächsten Tag im Sträggeli mit Mario Schweitar trifft, um ihm die Hälfte seiner Summe vorzuschießen, erkundigt er sich auch nach dem

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