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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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brüllen ihr Iah und scheißen, Kinder latschen durch den Mist, Eltern schreien. Männer schaukeln in gestreiften Segeltuchstühlen und reden von Geschäften, Sport, Sex, doch meistens über Politik. Ein Leierkastenmann nudelt Rossinis Ouvertüre zu La gazza ladra (die, wie wir später, in Berlin, sehen werden, einen Höhepunkt der Musikgeschichte darstellt, den alle ignoriert und statt dessen Beethoven vorgezogen haben, der es immer nur zu Absichtserklärungen brachte), und so
    aus der Drehorgel, ohne Trommelwirbel und schmetterndes Blech, klingt das Stück sanft und voller Hoffnung, ein Versprechen von lavendelfarbenem Dämmern, von Lustpavillons aus rostfreiem Stahl, in welchen sich endlich alle zu Aristokraten erhoben sähen, von Liebe ohne jegliche Bezahlung ...
    Pointsmans Absicht war, Fachsimpeleien für diesen Tag nach Möglichkeit zu vermeiden und das Gespräch mehr organisch fließen zu lassen - jedem Zeit und Gelegenheit für seinen eigenen Selbstbetrug zu geben. Aber die anderen wirken heute alle schüchtern und verkrampft. Kaum, daß mal einer den Mund aufmacht. Dennis Joint belauert Katje mit einem lüsternen Grinsen, dazu gelegentlich ein argwöhnischer Blick zu Roger Mexico. Der hat währenddessen seine liebe Not mit Jessica - in letzter Zeit häuft sich das, und im Moment schauen sich die beiden nicht mal an. Katje hält ihre Augen weit hinaus auf das Meer gerichtet, unmöglich festzustellen, was in ihrem Kopf vorgeht. Auf eine unbestimmte Weise empfindet Pointsman, obwohl er nicht glaubt, daß sie ihm gefährlich werden könnte, noch immer eine gewisse Scheu vor ihr. Es gibt noch so viele Dinge, von denen er nichts weiß. Was ihn zur Zeit vielleicht am meisten beschäftigt, ist ihre Verbindung, wenn sie überhaupt besteht, zu Pirat Prentice. Prentice ist mehrmals zur "Weißen Visitation" gekommen und hat sich äußerst angelegentlich nach Katje erkundigt. Als PISCES seine neue Zweigstelle in London bezog (die irgendein Scherzkeks, wahrscheinlich dieser junge Schwachkopf Webley Silvernail, schon "Das Zwölfte Haus" getauft hat), begann Prentice bald, dort herumzuhängen, den Sekretärinnen den Hof zu machen und sich bei der Gelegenheit auch für die Akten zu interessieren ... was da im Busch sein mag? Welche Form des Weiterlebens hat die Firma nach dem Einschnitt des Waffenstillstands für sich entdeckt? Worauf ist Prentice aus ... und was ist sein Preis? Ob er am Ende verliebt ist in La Borgesius? Ist so etwas wie Liebe überhaupt vorstellbar bei dieser Frau? Liebe? Allein der Gedanke ist zum Brüllen. Wie sähe ihre Liebe wohl in praxi aus? "Mexico", packt er den jungen Statistiker am Arm.
    "Hm?" Roger ist in die Betrachtung einer Süßen versunken, sieht ein bißchen so wie Rita Hayworth aus in ihrem geblümten Einteiler mit den gekreuzten Trägern auf dem Rücken ...
    "Mexico, ich glaube, ich halluziniere."
    "Ach wirklich? Glauben Sie? Was sehen Sie denn?"
    "Mexico, ich sehe ... Ich sehe ... Was meinen Sie mit sehen, Sie Trottel? Es geht darum, daß ich was höre!"
    "Na denn: was hören Sie also?" 'ne Spur Gereiztheit von seiten Rogers. "Jetzt zum Beispiel höre ich Sie, wie Sie gerade sagen: Und ich mag das nicht!" "Warum nicht?"
    "Weil ich diese Halluzination, so unerfreulich sie auch ist, dem Klang Ihrer Stimme immer noch bei weitem vorziehe."
    Das ist nun ein Betragen, wie man es von jedermann befremdlich fände. Daß es vom sonst korrekten Mr. Pointsman kommt, bringt den Spaziergang dieser wechselseitig paranoischen Gesellschaft zu einem verblüfften Halt. Sie stehen in der Nähe eines Glücksrads, zwischen dessen Speichen Lucky-Strike-Packun-gen, pausbäckige Puppen und Schokoladenriegel stecken.
    "Verstehst du, was los ist?" boxt der rüstig-blonde Dennis Joint mit einem Ellenbogen, der breit ist wie ein Knie, in Katjes Seite. Er hat es in seinem Job gelernt, die Kundschaft blitzschnell zu taxieren. Die alte Katje hier hält er für ein prima Mädel, durchaus für einen kleinen Spaß zu haben, ja Führermaterial ist das, ganz ohne
    Zweifel. "Ist er plötzlich übergeschnappt oder was?" Er versucht, seine Stimme zu dämpfen, und grinst in athletischer Paranoia in die ungefähre Richtung des prekären Pawlowianers - natürlich nicht genau auf ihn, klarerweise, Augenkontakt könnte lebensgefährlich sein in dieser Lage ...
    Jessica hat sich in ihre Fay-Wray-Nummer geflüchtet. Das ist 'ne Art abwehrender Paralyse, wie sie einen auch befällt, wenn die bekannte Muräne von der Decke segelt.

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