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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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Groucho Marx mit Bürstenschnitt. Jessica vergißt ihr Schmollen und packt Rogers Arm. "Sieh selbst, sieh selbst!" kommt die Stimme wieder. "Sie fühlt, daß sie ihn beschützt, beschützt vor dir! Wie viele Chancen kriegt man schon, eine leibhaftige Synthese zu werden, Pointsman? Ost und West, vereinigt in ein und demselben Kerl? Du kannst nicht nur Nayland Smith sein, der einem Jüngling, der gerade durchhängt, eine heilsame Lehre über die Vorzüge der Arbeit erteilt, sondern auch gleichzeitig Fu Manchu! Na? Derjenige, der die junge Lady in seiner Gewalt hat! Wie war's denn damit? Protagonist und Antagonist in einer Person. Ich würde mir die Finger danach lecken, wenn ich du wäre."
    Pointsman ist im Begriff, etwas zurückzugeben wie: "Aber du bist nicht ich", nur merkt er gerade, daß ihn die anderen entgeistert anzustarren scheinen. "Oh, ha, ha", macht er also, "war nur ein kleines Selbstgespräch eben. Ist eine, nun ja, Eigenheit von mir, heh, heh."
    "Yang und Yin", flüstert die Stimme, "Yang und Yin ..." 3 In der Zone
    Toto, mir schwant, wir sind nicht mehr in Kansas ... - DOROTHY, bei der Ankunft in Oz

[3.1] Enzian, DP's, Schwarzvater, Geli and Slothrop

    Wir haben glücklich die Eisheiligen hinter uns gebracht - St. Pankratius, St. Servatius, St. Bonifatius, die kalte Sophie ... sie schweben in Wolken über den Weinbergen, heilige Wesen aus Eis, bereit, durch einen Atemzug, einen Gedanken das Jahr mit Frost und Kälte zu verderben. In gewissen Jahren, Kriegsjahren vor allem, sind sie knapp an Barmherzigkeit, mürrisch und selbstgerecht in ihrer Macht: kein Vorbild als Heilige oder selbst als Christen. Die Gebete der Winzer, der Pflücker und Weintrinker müssen an ihre Ohren dringen, doch keiner weiß, was die Eisheiligen dabei empfinden - höhnisches Gelächter, heidnischer Unmut, wer versteht schon diese Nachhut, die für den Winter kämpft gegen die Revolutionäre des Mai?
    Dieses Jahr fanden sie das Land im Frieden vor, seit wenigen Tagen erst. Schon beginnt der Wein, die Drachenzähne zu überwachsen, abgestürzte Stukas, ausgebrannte Panzer. Die Sonne erwärmt die Flanken der Hügel, die Flüsse perlen hell wie Wein. Die Heiligen haben sich zurückgehalten. Die Nächte waren mild, der Frost ist ausgeblieben. Es ist der Frühling des Friedens. Die Ernte, wenn Gott nur hundert Tage Sonne schenkt, wird gut ausfallen.
    Nordhausen investiert weniger Glauben in die Eisheiligen als die Weinbaugebiete weiter südlich, doch auch hier sieht die Jahreszeit vielversprechend aus. Verstreute Regenschauer treiben über die Stadt, als Slothrop früh am Morgen ankommt, auf nackten Sohlen mit alten und frischen Blasen, die das feuchte Gras kühlt. Oben auf den Bergen liegt Sonnenlicht. Seine Schuhe sind ihm von irgendeiner DP geklaut worden, mit Fingern, leichter als Träume, während er in festem Schlaf durch Bayern rollte, auf einem der zahllosen Züge seit der Schweizer Grenze. Wer immer es war er hinterließ eine rote Tulpe zwischen Slothrops Zehen, ein Zeichen, so hat er es verstanden, eine Erinnerung an Katje...
    Zeichen werden ihn heimsuchen hier in der Zone, und seine Vorfahren werden in ihr altes Recht eintreten. Es ist, als ginge er ins schwärzeste Afrika, um die Eingeborenen zu studieren, und würde statt dessen von ihrem seltsamen Aberglauben überwältigt. Komisch, aber erst vorige Nacht ist Slothrop tatsächlich einem Afrikaner begegnet, dem ersten, den er in seinem ganzen Leben gesehen hat. Ihre Unterhaltung auf dem Dach des Güterwagens dauerte nur eine oder zwei Minuten, Smalltalk vor dem Hintergrund von Major Duane Marvys plötzlichem Abgang seitwärts mit Getöse übers Schotterbett und in die Büsche, und sicher ist bei dieser Gelegenheit kein Wort über irgendwelche Herero-Gläubigkeiten in Sachen Ahnen gefallen. Dennoch spürt er die Gegenwart seiner eigenen, immer stärker, je weiter die Grenzen zurücksinken, je dichter die Zone ihn einhüllt, die Gegenwart seiner eigenen, weißen, angelsächsischen, protestantischen, schnallenschwarz gekleideten Vorfahren, die sich aus der Färbung jedes Blattes und dem Rausch jeder Kuh, die sich in den herbstlichen Apfelgarten verirrt hatte, von ihrem Gott angeplärrt fühlten.
    Zeichen von Katje, und sogar Doppelgängerinnen. Eines Nachts saß er im Spielhaus eines Kindes auf einem verlassenen Gutshof und brannte ein Feuer von den blonden Haaren einer Puppe mit Lapislazuli-Augen. Die Augen behielt er. Ein paar Tage später tauschte er sie für eine

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