Die Enden der Parabel
Mitfahrt und eine halbe gekochte Kartoffel ein. Hunde bellten in der Ferne, ein sommerlicher Wind raschelte durch Birkenzweige. Er befand sich auf einer der Hauptschlagadern der letzten Auflösungen und Absetzbewegungen des vergangenen Frühlings. Ganz in der Nähe hatte eine von Generalmajor Kammlers Raketenbatterien ihren kollektiven Tod gefunden. Verstreut im Gelände, ein Text aus Wut und Ohnmacht, verrotteten Metalle, Module, Zellen, Akkus, stank streng geheimer Schlamm, vom Regen aus Papier zurückverwandelt. Slothrop folgt solchen Spuren. Der kleinste Fingerzeig ist gut genug, auf einen Zug zu springen. Das Haar der Puppe war Menschenhaar. Der Geruch, mit dem es verbrennt, ist ekelhaft. Von jenseits der Flamme hört Slothrop eine Bewegung. Ein ratschendes Geräusch - er erwartet eine Handgranate, packt seine Decke, macht sich bereit, durch den leeren Fensterrahmen ins Freie zu springen. Statt dessen kommt eins von diesen kleinen, buntbemalten deutschen Blechspielzeugen, ein Orang-Utan auf Rädern, in den Feuerschein ge-tick-tick-tickt, spastisch kopfbaumelnd, ein Idiotengrinsen im Gesicht, mit Stahlgelenken über den Boden kratzend. Er rollt fast bis ins Feuer, ehe das Uhrwerk abgelaufen ist, der Wackelkopf zum toten Punkt kommt, Slothrop anglotzt.
Der wirft ein weiteres Büschel goldener Haare in die Flammen, "'n Abend." Lachen, von irgendwo. Ein Kind. Aber ein altes Lachen. "Na, komm schon raus! Ich bin harmlos."
Dem Affen folgt eine winzige schwarze Krähe mit einem roten Schnabel, hüpfend,
krächzend, metallene Flügel schlagend.
"Warum verbrennst du das Haar von meiner Puppe?"
"Tja, weißt du, es ist nicht ihr eigenes Haar."
"Vater hat gesagt, es hat einer russischen Jüdin gehört."
"Warum kommst du nicht her ans Feuer?"
"Tut meinen Augen weh." Wieder das Aufziehgeräusch. Keine Bewegung. Aber eine Spieldose beginnt zu spielen. Die Melodie ist winzig und präzise. "Tanz mit mir." "Ich kann dich nicht sehen."
"Hier." Vor den Schranken des Feuers eine kleine Blume aus Eis. Er greift ins Dunkel
und findet gerade ihre Hand, faßt ihre schmale Taille. Sie beginnen ihren feierlichen
Tanz. Er wüßte nicht zu sagen, ob er führt.
Ihr Gesicht sah er nie. Sie fühlte sich an wie Voile und Organdy.
"Hübsches Kleid."
"Hab ich bei meiner ersten Kommunion getragen." In diesem Augenblick verlosch das Feuer. Zurück blieb Sternenlicht und der schwache Widerschein einer Stadt weiter im Osten, hinter den glaslosen Fenstern. Die Spieldose spielte noch immer, schon jenseits der Laufzeit, so schien es, die eine gewöhnliche Feder erlaubte. Die beiden Fußpaare tanzten über blinde, zerbröckelnde Splitter von altem Glas, zerrissene Seiden, Knochen von toten Kaninchen und Kätzchen. Die Geometrie ihres Pfades führte sie zwischen aufgeplatzte, herunterhängende Tapeten, die nach Staub rochen und nach einem älteren Bestiarium als dem blechernen am Feuer ... Einhörner, Chimären ... und was für Ranken hatte er doch rund um die kindshohe Tür gesehen? Knoblauchzwiebeln? Sollten die nicht vor Vampiren schützen? Ein schwacher Geruch nach Knoblauch, ein Einbruch von Balkanblut auf den Lüften seines Nordens, wehte just in diesem Augenblick an seine Nase, als er sich zu ihr zurückwenden wollte, um sie zu fragen, ob sie wirklich Katje wäre, die süße Queen von Trans... Doch die Musik war abgelaufen, und sie hatte sich unter seinen Armen in Luft aufgelöst.
So schliddert er in die Zone hinein wie eine Planchette auf die Alphabettafel, und was in dem leeren Kreis seines Gehirns auftauchen wird, kann sich zu einer Botschaft zusammenfügen oder auch nicht - er wird es abwarten müssen. Aber er spürt die Fingerspitzen eines Mediums, die leicht und doch bestimmt auf seinen Tagen ruhen, und er stellt sich vor, daß sie Katje gehören.
Er ist noch immer lan Scuffling, Kriegs(Friedens-?)berichterstatter, inzwischen wieder ordnungsgemäß in englischer Uniform, und seine Züge lassen ihm viel Zeit, über das Material nachzugrübeln, das ihm Mario Schweitar in Zürich beschafft hat. Er hat einen prallen Ordner über Imipolex G, und was darin steht, scheint auf Nordhausen zu deuten. Der Ingenieur auf der Auftraggeberseite des Imipolex-Vertrags war ein Franz Pökler, der Anfang '44, als die Massenproduktion der Rakete begann, nach Nordhausen versetzt wurde. Er arbeitete in den Mittelwerken, dem unterirdischen Fabrikkomplex, der weitgehend der SS unterstellt war. Kein Wort darüber, wohin er ging, als das Werk im Februar
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