Die Enden der Parabel

Lederschnipsel fände, könnte er sie irgendwie auf Tschitscherins Stiefel aufnähen ... yeah, und auf den Rücken dieses Capes ein großes scharlachrotes "Rocketman"-R draufmachen ... Es ist ein ebenso bedeutungsschwangerer Augenblick wie jener nach dem legendären Hinterhalt, als Tonto versucht -
    "Raketenmensch!" brüllt Säure, grapscht sich den Helm und schraubt die Hörner raus. Namen an sich mögen leerer Wahn sein, aber der Akt des Benennens... "Sie hatten denselben Einfall?" Oh, seltsam. Vorsichtig richtet sich Säure auf und plaziert den Helm auf Slothrops Kopf. Mit zeremonieller Geste drapieren die Mädchen den Umhang um Slothrops Schultern. Spähtrupps aus dem Reich der Trolle haben schon die ersten Meldeläufer losgeschickt, um ihr Volk zu informieren. "Gut. Jetzt hör mal zu, Raketenmensch: Ich hab da ein Problem. " "Häh?" Slothrop steckt mitten in einer Rocketman-Halluzi-nation, in der ihm Lebensmittel, Weine und Jungfrauen aus der Vierfarbenwelt zu Füßen gelegt werden und alles tanzt und "La, la, la, la" singt und Beefsteaks aus diesen zerbombten Linden blühen und gebratene Truthähne wie ein wohltätiger Hagelschlag auf Berlin niedergehen und süße Kartoffeln und sämige Marshmallows aus dem Boden sprießen...
    "Hast du Amis?" forscht Trudi. Slothrop, vulgo Raketenmensch, gibt ihr eine halbvolle, zerknitterte Packung.
    Der Reefer geht noch immer seinen Kreis: blitzt und sticht durch das Wurzeldach.
    Jeder vergißt sofort, was er gerade gesagt hat. Es riecht nach Erde. Käfer brummen
    vorbei, durchtunneln die Luft. Magda hat eine von Slothrops Zigaretten für ihn
    angezündet, und er schmeckt himbeerigen Lippenstift. Lippenstift? Wer hat
    heutzutage Lippenstift? Und überhaupt, was sind das für Leute?
    Berlin ist dunkel genug für Sterne, die gewohnten Sterne, doch niemals so sauber
    plaziert. Man kann auch eigene Sternbilder reinlesen. "Oh", erinnert sich Säure, "ich
    hatte doch dieses Problem... "
    "Hab ich einen Kohldampf", fällt Slothrop ein.
    Trudi erzählt Magda von ihrem Freund Gustav, der sein Leben in einem Klavier verbringen möchte. "Alles, was du von ihm sehen konntest, waren die Füße, die noch rausguckten, und dauernd rief er: " Sie kichern.
    "Und dabei zupfte er an den Saiten", sagt Magda, "stimmt's? Er ist so paranoisch." Trudi hat diese großen, blonden preußischen Beine. Winzige blonde Haare tanzen im Sternenlicht auf und ab, unter ihren Rock und wieder zurück, bis in die Schatten unter ihren Knien und herum in die Kehlen, ein einziges Sternengeflimmer... Der Baumstrunk stülpt sich über sie und hüllt sie ein, eine riesige Nervenzelle, die ihre
    Fortsätze in den Himmel und über die Stadt reckt. Von allen Seiten kommen die Signale, aus der Vergangenheit sogar, vielleicht der Zukunft... Säure, der es niemals fertigbringt, seine Geschäfte ganz zu vergessen, rollt und wälzt sich auf die Beine, klammert sich an eine Wurzel, bis sich sein Kopf entschieden hat, wo er hingehört. Magda, das Ohr an einer der Öffnungen, klopft mit einem Stock auf die Kopfzier des Raketenmenschen. Es dröhnt in Akkorden, aber die einzelnen Noten klingen nicht sauber zusammen. Ein sehr merkwürdiger Klang... "Wie spät ist es überhaupt?" Säure Bummer stiert in der Gegend herum. "Sollten wir nicht in der Chicago-Bar sein? Oder war das gestern nacht?" "Vergessen", kichert Trudi.
    "Höre, Kerl, ich muß wirklich reden mit diesem Amerikaner."
    "Liebster Emil", flüstert Trudi, "mach dir mal keine Sorgen! Er wird in der Chicago sein."
    Sie beschließen ein raffiniertes System der Verkleidung. Säure gibt Slothrop seine Jacke. Trudi trägt das grüne Cape. Magda zieht Slothrops Stiefel an, er selber geht in Socken und steckt sich ihre winzigen Schuhe in die Taschen. Geraume Zeit verbringen sie damit, eine plausible Füllung, Späne und Reisig, für den Helm zu sammeln, den sich Säure schnappt. Magda und Trudi
    gehen auf ihre hübschen Knie, helfen Slothrop, sich in die lederne Hose zu zwängen und lassen ihre Finger über seine Oberschenkel und seinen Hintern wandern. So wie's kein Nest für Ostereier gibt zu Weihnachten, ist es auch mit dieser Hose, und Slothrops Ständer, der immer größer wird, schmerzt höllisch.
    "Ihr habt euern Spaß." Die Mädchen lachen. Der grandiose Slothrop humpelt hinter der Partie her, ein durchsichtiges, verflochtenes Wellenmuster wie Regen vor seinen Augen, die Hände versteinernd, hinaus aus dem Tiergarten mit seinen granatenzerfetzten Linden und Kastanien und