Die Enden der Parabel
Grab werden Bohlenbretter eingetrieben, um das Wasser abzuschotten. Eimer und Holzbottiche voll Schlamm wandern durch eine Kette von Händen ans Ufer, wo sie nahe der Stelle ausgekippt werden, an der die Gewehre und Tornister abgelegt sind. "Also hat Marvy recht gehabt. Sie haben euch Burschen nicht entwaffnet." "Sie wußten nicht, wo sie uns suchen sollten. Wir waren eine Überraschung für sie. Selbst jetzt gibt es in Paris noch einflußreiche Gruppen, die nicht an unsere Existenz glauben. Und die meiste Zeit bin ich mir selbst nicht mal so sicher." "Wie das?"
"Nun, ich glaube zwar, daß wir hier sind, aber wir sind es auf eine statistische Weise. Etwas wie diesen Stein dort drüben gibt's mit fast hundertprozentiger Sicherheit - er weiß, daß er da ist, und jeder andere weiß es ebenfalls. Unsere eigenen Chancen aber, hier und jetzt dazusein, stehen nur um weniges besser als eins zu eins - eine minimale Verschiebung der Wahrscheinlichkeiten, und wir sind verschwunden -schnapp! Einfach so." "Seltsame Vorstellung, Oberst." "Nicht für jemanden, der dort gewesen ist, wo wir waren. Vor vierzig Jahren, in Südwestafrika, wurden wir fast ausgerottet. Es gab keinen Grund dafür. Können Sie das begreifen? Keinen Grund. Nicht einmal in der Gottes-Wille-Theorie konnten wir Trost suchen. Es waren Deutsche mit Namen und Personalakten, Männer in blauen Uniformen, die unbeholfen töteten und keineswegs schuldlos. Jeden Tag, zwei Jahre lang, waren Such-und Vernichtungstrupps unterwegs. Die Befehle kamen von einem menschlichen Wesen, einem peniblen Schlächter namens von Trotha. Der Daumen der Gnade hat niemals seine Waagschale berührt. Wir haben ein Wort, das wir flüstern, ein Mantra für Zeiten, die schlimm zu werden drohen. Mbakayere. Vielleicht werden Sie finden, daß es auch Ihnen hilft. Es bedeutet . Für diejenigen unter uns, die von Trotha entkommen sind, bedeutet es außerdem, daß wir gelernt haben, außerhalb unserer Geschichte zu stehen und sie zu beobachten, ohne sehr viel dabei zu empfinden. Ein wenig schizoid. Ein Sinn für den statistischen Aspekt unserer Existenz. Einer der Gründe, die uns die Rakete nahegebracht haben, war wohl die Erkenntnis, wie abhängig vom Zufall das Aggregat 4 sein konnte - genau wie wir. Wie sehr ausgeliefert der Gnade der Kleinigkeiten ... ein Staubkorn, das in einen Zeitgeber gerät und einen elektrischen Kontakt unterbricht ... ein Fettfilm, unsichtbar fürs Auge, Öl von einem Fingerabdruck, das in einem Ventil zurückbleibt und sich entzündet, sobald es mit dem Flüssigsauerstoff in Berührung kommt, und alles in die Luft jagt - ich habe das selbst erlebt... Regen, der die Buchsen der Trimmotoren quellen läßt oder in einen Schalter einsickert: Korrosion, Kurzschluß, ein Signal geht verloren, der Brennschluß kommt zu früh, und was lebendig war, ist wieder nur ein Aggregat, ein Aggregat aus Einzelteilen aus toter Materie, nichts mehr, das sich bewegen kann oder ein Schicksal hat mit einer individuellen Gestalt - hören Sie auf mit dem, was Sie da gerade mit Ihren Augenbrauen machen, Scuffling! Vielleicht bin ich hier draußen nur ein wenig zum Eingeborenen der Zone geworden. Bleiben Sie lange genug hier, und Sie werden sehen, daß Sie selbst anfangen, sich über das Schicksal so Ihre Gedanken zu machen ... "
Ein Schrei von unten aus dem Moor. Vögel flattern auf, rund und schwarz, Körner von rohgemahlenem Pfeffer auf dieser Himmels-Bouillabaisse. Kleine Kinder rutschen zum Stillstand, die Blaskapelle bricht mitten im Takt ab. Enzian ist schon auf den Beinen und springt in großen Sätzen hinunter, wo sich die anderen zusammendrängen.
"Was ist los, meine Sumpfmenschen?" Die anderen lachen, schöpfen Fäuste voll Schlamm und beginnen, ihren Nguarorerue damit zu bewerfen, der sich duckt, ausweicht, selber in den Schlamm greift und zurückwirft. Die Deutschen am Sumpfrand stehen starr, versuchen, ihr Entsetzen ob solcher Disziplinlosigkeit hinter höflichem Blinzeln zu verbergen.
Unten im Geviert der Holzbohlen ragen jetzt, etwa vier Meter voneinander entfernt, zwei schmutzbedeckte Ruderflächen aus dem Sumpf. Enzian, von seinem weißen Lächeln um Meter überholt, flankt in die Grube, vollgespritzt und triefend, wie er ist, und packt sich eine Schaufel. Unversehens hat die Szene etwas von einer Zeremonie angenommen. Andreas und Christian gesellen sich an beiden Seiten zu ihm und helfen, eine der beiden Flossen etwa dreißig Zentimeter tief freizulegen: die Feststellung
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