Die Enden der Parabel
die Dame kreischt, die Hühner führen sich auf, als ob sie am Spieß steckten, das Schwein galoppiert neben ihm her. Es folgt noch eine abschließende Schrotladung, doch da sind sie bereits außer Reichweite.
Etwa einen Kilometer weiter machen sie Pause für Slothrops Frühstück. "Gut gemacht", patscht er die Sau liebevoll in die Seite. Sie ringelt sich zusammen, hält den Atem an, blickt anbetend zu ihm empor, während er die rohen Eier trinkt und eine halbe Zigarette raucht. Dann machen sie sich wieder auf den Weg. Bald beginnen sie, auf die Küste zuzuschwenken. Das Schwein scheint genau zu wissen, wo es hinwill. In weiter Ferne, über einer anderen Straße, hängt eine große Staubwolke, kriecht langsam südwärts, vielleicht eine russische Pferdekolonne. Junge Störche erproben ihre Schwingen über Heuschobern und Feldern. Die Wipfel freistehender Bäume sind von einem verschmierten Grün, so als wäre irrtümlich ein Ärmel drüberge-wischt. Braune Windmühlen drehen sich am Horizont, hinter Meilen von strohgesprenkelter Erde.
Ein Schwein ist ein fröhlicher Kumpel,
Ob Eber, ob Frischling, ob Sau.
Ein Schwein ist ein Freund, der's gut mit dir meint,
Der zu dir hält im schlimmsten Verhau.
Ob sie dich ächten, verfolgen, betrügen,
Ob du gegen Tory und Whig stehst allein,
Ob dich Genossen versetzen, Genossinnen hetzen,
Es bleibt dir doch immer dein Schwein, dein Schwein -
Es bleibt dir doch immer dein Schwein!
Als die Nacht hereinbricht, haben sie einen Waldstrich erreicht. Nebel steigt aus den Senken. Eine verirrte, ungemolkene Kuh klagt irgendwo in der Dunkelheit. Slothrop und sein Schwein lagern sich zwischen Fichten, die über und über mit Stanniolschnitzeln bedeckt sind, einer Wolke englischer Störfolie, abgeworfen bei einem lang vergangenen Luftangriff, um die deutsche Funkortung auszutricksen, ein ganzer Wald aus Weihnachtsbäumen, behängt mit Lametta, das im Wind knistert, den Sternenschein einfängt, schweigende, eiskalte Kronjuwelenwei-ten, ungestüm die ganze Nacht lang über ihren Köpfen. Slothrop wacht immer wieder auf und findet jedesmal das Schwein, geschmiegt in ein Bett aus Fichtennadeln, über ihn wachend. Nicht, weil eine Gefahr bestünde, oder aus Schlaflosigkeit. Vielleicht hat sie einfach beschlossen, daß Slothrop Aufsicht braucht. Im Folienschimmer wirkt sie sehr glatt und konvex, ihre Borsten sehen weich aus wie Daunen. Lüsterne Gedanken sickern ein in Slothrops Hirn, 'ne kleine Besonderheit hier, nicht wahr, heh heh, aber nichts, womit er nicht zurechtkäme ... Sie schlafen unter den geschmückten Bäumen ein, das Schwein ein wandernder Magus aus dem Morgenland, Slothrop in seinem Kostüm ein aufgeputztes Geschenk, das auf den Morgen wartet und auf ein Kind, das ihn sich holt.
Am nächsten Tag um die Mittagsstunde betreten sie eine langsam verfallende Stadt, einsam an der Ostseeküste gelegen, die zugrunde geht an der Abwesenheit von Kindern. Das Schild
über dem Stadttor, eine Schrift aus ausgebrannten Birnen und leeren Sockeln, lautet zwölfkinder. Das große Rad, das die Silhouette schon Kilometer vor der Stadt bestimmt hat, steht ein wenig windschief in der Gegend, eine grimmige, alte Gouvernante, an der die Sonne lange Streifen Rost entblößt, der Himmel bleich hinter dem eisernen Gestänge, das seine langen, krummen Schatten über den Sand und auf das pflaumenblaue Meer wirft. Durch die türenlosen Häuser und Säle heult der Wind wie eine Katze.
"Frieda!" ruft eine Stimme aus den blauen Schatten hinter einer Mauer. Das Schwein bleibt bei Slothrop stehen, grunzt und grinst - schau mal, wen ich mitgebracht habe! Bald tritt ein dünner, sommersprossiger Mann, blond, fast kahl, in die Sonne hinaus. Er mustert Slothrop, nervös, und streckt eine Hand aus, um Frieda zwischen den Ohren zu kraulen. "Ich heiße Pökler. Vielen Dank, daß Sie sie zurückgebracht haben."
"Nein, nein - sie hat mich gebracht." "Ja."
Pökler wohnt im Erdgeschoß des Rathauses. Er hat etwas Kaffee, den er auf einem Treibholzfeuer im Ofen aufsetzt. "Spielen Sie Schach?"
Frieda kiebitzt. Slothrop, der sich mehr vom Aberglauben als von Strategien leiten läßt, ist davon besessen, seine Springer zu decken, die Springer und nichts als die Springer - willens, alles andere dafür aufs Spiel zu setzen, nie mehr als einen oder zwei Züge vorausdenkend, kombiniert er lange, lethargische Abwehrschlachten mit wilden Ausbrüchen von idiotischem Tamtam, die Pökler schaudern machen, aber nicht aus
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