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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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nur der alte Pudding ignoriert ihn und poltert ungerührt weiter, hoch herab von der Kanzel dessen, was in den manischen Anfängen des achtzehnten Jahrhunderts Hauskapelle gewesen war und jetzt der sogenannten "Wöchentlichen Lage" zur Startplattform dient, einem mehr als wunderlichen Schwall von senilen Betrachtungen, Amtsparanoia, Kriegstratsch mit oft mehr, oft weniger flagranten Sicherheitsverletzungen und flandrischen Reminiszenzen ... die schweren Koffer, die aus dem Himmel auf einen zuheulen ... das Trommelfeuer, das so milchig leuchtete am Vorabend seines Geburtstags ... die Tümpel am Grund der Minenkrater, meilenweit nur bleichen Herbsthimmel spiegelnd ... Haigs Apercu in der Offiziersmesse, voll seines subtilen Witzes, über Lieutenant Sassoon und dessen Weigerung, zu kämpfen... die Kanoniere im Frühling, ihre triefenden grünen Uniformen... am Straßenrand die armen, faulenden Pferdekadaver, danach aprikosenfarbener Sonnenaufgang ... zwölf Speichen eines verlassenen Geschützes - ein Zifferblatt, ein Tierkreis aus Dreck, verschmiert und verkrustet, reiche Braunschattierungen im Sonnenlicht ... Der Dreck von Flandern verdichtete sich zu klumpig geronnenen, zaghaft gelierten Texturen von Scheiße, aufgeschanzter, von Laufbrettern überbrückter, von Schützengräben durchzogener, von Granaten umgepflügter Menschenscheiße, nirgends auch nur von einem armseligen, schwärzlichen Baumstumpf unterbrochen - und hier krallt sich der schnatternde alte Schwätzkünstler an die Brüstung seiner Kirschholzkanzel und rüttelt an ihr, so als wäre das Schlimmste an dem ganzen Grauen von Passchendaele das Fehlen vertikaler Unterteilung gewesen ... Und weiter brabbelt er, brabbelt und sabbelt, geht über zu Rezepten, rote Bete auf hunderterlei leckere Arten oder diese gurkige Unsäglichkeit, die sich Ernest Puddings Kürbis-Surprise nenntja, da ist schon ein guter Schuß Sadismus dabei, wenn in einem Rezept das Wort "Surprise" vorkommt, ein Kerl mit Kohldampf will schließlich essen und nicht überrascht werden, er will einfach reinbeißen in den guten alten (seufz) Erdapfel und billigerweise sicher sein dürfen, daß da nichts weiter drin ist als eben 'ne Kartoffel, klar, auf klugscheißerisch muskatverbrämte Überraschungen, magentarote Pampen mit Granatäpfeln und dergleichen kann er bestimmt verzichten ... Aber solche zweifelhaften Scherze liebt dieser Brigadier Pudding nun mal: wie schüttelt er sich doch vor Lachen, wenn arglose Dinnergäste nichtsahnend zum Messer greifen und seine unselige Kröte im Nest anschneiden, durch den vertrauten Teig hinein in -uach! was soll denn das sein? Eine Rote-Rüben-Rissole? eine farcierte Rote-Rüben-Rissole? oder heute vielleicht fein pürierter, salzwasserstinkender Meerfenchel (allwöchentlich vom gleichen fetten Sohn des Fischhändlers schnaufend und fahrradschiebend die kreidebleiche Klippe hochgeschleppt)? Keine dieser kauzigen Gemüse-Rissoles ähnelt auch nur im entferntesten einer ehrlichen Fleischpastete, eher schon jenen sittenlosen, halb fühlsamen Kreaturen, mit denen junge Gents aus King's Road in irgendwelchen Limericks was haben. Pudding kennt Tausende solcher Rezepte und scheut sich nicht, sie mit dem ganzen Volk bei PISCES zu teilen, genauso wie, wenig später im wöchentlichen Monolog, ein, zwei Verse (acht Takte) aus dem schönen Lied "Wer wär lieber Colonel mit 'nem Adler auf der Schulter / als Gemeiner mit 'ner flotten Biene auf dem Knie", dem vielleicht eine längere Rezitation seiner sämtlichen Budgetprobleme folgt, sämtlichen, bis lange zurück selbst vor die Zeit der Electra-House-Gruppe... oder die Leserbrieffehde, die er in den Spalten der Times mit den Kritikern von General Haig ausgetragen hatte ... Und alle sitzen sie ruhig da, vor den sehr hohen, verdunkelten, in Blei gefaßten Fenstern, und hören diesen Narreteien gleichgültig und gewährend zu. Die Hundeleute halten die eine Ecke besetzt, tauschen Zettelchen, stecken flüsternd die Köpfe zusammen (schmieden Komplotte, schlafend oder wach, sie lassen niemals nach), die Psi-Sektion hat genau gegenüber Stellung bezogen - als ob es eine Art von Parlament wäre, jeder seit Jahren mit seinem eigenen, reservierten Kirchenstuhl und Blickwinkel auf das Wüten des rotgesichtigen, leberfleckigen Brigadiers -und die übrigen Überzeugungenim-Exil breiten sich zwischen diesen beiden Flügeln aus: ein Gleichgewicht der Kräfte, wenn so etwas wie reale Macht existierte bei der "Weißen

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