Die Enden der Parabel
Visitation".
Dr. Rozsavölgyi meint, daß sie sehr wohl existieren könnte, wenn die Kollegen ihre Karten nur voll ausreizen würden. Das akute Problem im Augenblick ist für sie alle das Überleben -über die fatale Grenzlinie des V-E-Day hinaus und weiter, mit wachen Sinnen und wachem Gedächtnis in eine schöne neue Nachkriegszeit hinein.
Man darf nicht zulassen, daß PISCES unter den Hammer kommt, zusammen mit dem Rest der blökenden Herde. Ein Führer oder ein Programm muß erstehen, verdammt schnell und stark genug, sie zu einer Phalanx zusammenzuschmieden, ein konzentrierter Lichtpunkt, dem sie durch wer weiß wie viele Jahre Nachkrieg folgen können. Dr. Rozsavölgyi tendiert dazu, ein schlagkräftiges Programm einem schlagkräftigen Führer vorzuziehen. Vielleicht deshalb, weil wir 1945 schreiben. Man nahm damals weithin an, daß am Krieg, an all dem Sterben, der Brutalität, der Zerstörung das Führerprinzip die Schuld trüge. Daß die Nationen vernünftig zusammenleben könnten, wenn man nur die Persönlichkeiten durch Abstraktionen der Macht ersetzte und sich der Organisationsformen der großen Konzerne bediente... Eine der teuersten Nachkriegshoffnungen: daß niemals mehr Raum sein würde für eine so furchtbare Krankheit wie Charisma... daß seine Rationalisierung vorangetrieben werden würde, solange wir noch Zeit und Mittel dazu hätten... Ist das nicht der Einsatz, um den es Dr. Rozsavölgyi bei diesem jüngsten Projekt rund um Lieutenant Slothrop eigentlich geht? Alle psychologischen Tests im Dossier der Versuchsperson, bis weit zurück in die Collegezeit, deuten auf eine krankhafte Veränderung der Persönlichkeit hin. "Rosie" schlägt mit der flachen Hand auf das Aktenbündel, um diese Tatsache zu unterstreichen. Der Konferenztisch erzittert. "Zum Beispiel: sein Minnesota Multiphasic Personality Inventory ist erschreckend unausgeglichen, immer bevorzugt er das Psychopathologische, und, Ungesunde." Aber der Reverend Dr. Paul de la Nuit hält überhaupt nichts vom MMPI. "Rosie, haben Sie denn auch Testskalen, an denen Sie interpersonelle Charakterzüge ablesen können?" Seine Habichtsnase rümpft sich kritisch, der Blick bleibt diplomatisch gesenkt. "Menschliche Werte? Vertrauen, Aufrichtigkeit, Liebe? Gibt es - verzeihen Sie meine Hartnäckigkeitso etwas wie eine religiöse Skala?" Keine Chance, Pater: das MMPI wurde um 1943 entwickelt. Also mitten im Krieg. Die Werteinstellungen von Allport und Vernon oder das Bernreuter-Inventar in Flanagans Fassung von '35, beides Vorkriegstests, scheinen Paul de la Nuit wesentlich humaner zu sein. Das MMPI mißt offenbar vor allem, ob die Testperson einen guten Soldaten abgibt oder nicht.
"Soldaten sind heutzutage sehr gefragt, Reverend Doktor", murmelt Mr. Pointsman. "Ich hoffe nur, daß wir seinen MMPI-Ergebnissen nicht allzuviel Bedeutung beimessen. Mir ist das alles viel zu eng. Große Teile der menschlichen Persönlichkeit bleiben einfach unberücksichtigt."
"Genau aus, diesem Grund", hüpft Rozsavölgyi, "schlagen wir noch einen ganz anderen" Test für, Slothrop vor. Wir entwickeln für ihn, gerade einen mgenannten Test. Das bekannteste Beispiel für diesen Typ, ist der Klecksdeutetest von Rorschach. Die Grundidee, ist, daß die Versuchsperson einem unstrukturierten Stimulus, einem gestaltlosen Klümpchen Erfahrung, unwillkürlich sofort eine Struktur aufzuprägen versucht. Die Art, wie, sie ihren Klumpen strukturiert, spiegelt ihre Bedürfnisse, ihre geheimen Wünsche, widersie liefert uns, den Schlüssel, zu ihren Träumen, ihren Gedankenspielen, den tiefsten Schichten ihrer Seele." Seine Augenbrauen zucken mit Eloquenz, die Hände fliegen fließend und grazil, nicht unähnlichwahrscheinlich höchst bewußt, doch wer wird Rosie die Berechnung vorwerfen wollen - der Gestik seines berühmtesten Landsmannes, was allerdings auch unerwünschte Nebenwirkungen zeitigt: z. B. Kollegen, die Stein und Bein schwören, ihn mit dem Kopf voran die Nordfassade der "Weißen Visitation" hinunterklettern gesehen zu haben. "Insofern sind, wir also ganz, einer Meinung, Reverend Doktor. Ein Test, wie das, MMPI, ist für diesen Zweck nicht, adäquat. Es ist ein strukturierter Stimulus. Die Versuchsperson kann, bewußt verfälschen oder unbewußt, verdrängen. Bei der projektiven Technik kann uns dagegen, nichts was
er, bewußt oder unbewußt, tun mag, daran hindern, das zu erfahren, was wir, erfahren wollen. Wir, haben die Kontrolle. Er selbst, ist völlig machtlos. "
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