Die Enden der Parabel
die endlich aufgegeben worden sind im tiefen Winter, von niemandem benötigt, schweigende Reihen von Satin, vergilbt schon in den faltigweißen Schleiern, sachte aufschwebend nur, wenn du, Besucher, Gast dieser Stadt in allen ihren toten Winkeln, sie passierst... Du ahnst dein Spiegelbild, ein-, zweimal, auf den Kleidern, halb fast ein Schatten, halb vager, fleischfarbener Hauch auf Peau de Soie, das dich hineinlockt, bis du den ersten, ekelhaften Stich des Moders riechst -was ganz dem alten Plan entspricht: jede Spur ihres eigenen Geruchs zu überdecken, schwitzende Mittelstandsbraut in spe, galant getarnt mit Seife und Puder. Doch jungfräulich in ihrem Herzen, ihren Hoffnungen. Kein Gedanke an Saison, schick schweizerisch und kristallin, nur dunkel getürmte Tage mit Wolken und mit Schnee, der sich wie ein Gewand über das Land legt, wie das Gewand des Winters, sanft in der Nacht, ein fast windloses Atmen um dich her. Auf den Bahnhöfen der Stadt kehren Gefangene aus Indochina heim, schleppen ihre elenden, durchscheinenden Knochen, leicht wie Schlafwandler oder Mondfußgänger, durch das Gewirr von chromberaubten Kinderwagen, deren schwarze Bespannung wie ein Trommelfell vibriert, Babystühlen aus hellem Holz, auf dem blaue und rosige, breibekleckste und angekratzte Abziehbilder von Blumen kleben, Klappbetten und Teddybären mit roten Filzzungen, Kinderdecken, die pastellbunte Wolken in den Geruch nach Dampf und Kohle tupfen, in die metallischen Gehege, die Warteschlangen, die Scharen der Umhergescheuchten oder unruhig Dösenden, die trotz aller Warnungen zu Hunderten über die Feiertage in die Stadt gekommen sind, trotz Mr. Morrisons Menetekel, trotz der U-Bahn-Tunnel unter dem Fluß, die jeden Augenblick, noch während dieser Worte, von einer deutschen Rakete leckgeschlagen werden können, trotz der Verlassenheit, die sie vielleicht erwartet, der Adressen, die sicher nicht mehr existieren werden. Die Augen aus Burma, aus Tonking beobachten diese Frauen bei ihren hundert Unermüdlichkeiten - starren aus blauen Höhlen durch einen Kopfschmerz, den kein Alasil mehr lindern kann. Italienische PWs fluchen unter der Last der Postsäcke, die jetzt stündlich mit metallenem Echo in den Bahnhof keuchen, eine saisonbedingte Wucherung, die über den Schneebord der Wagen quillt wie Pilzbefall, als wären die Züge die ganze Nacht lang unter der Erde durch das Reich der Toten gefahren. Hin und wieder singen sie, die Katzelmacher, und man kann wetten, daß sie dann nicht etwa "Giovinezza" zum besten geben, sondern wahrscheinlich irgendwas aus Rigoletto oder La Boheme - bei der Postverwaltung überlegt man schon, eine Liste der unerwünschten Lieder aufzustellen, mit Ukulelenoten, zur leichteren Identifizierung. Fröhlichkeit und Sangeslust sind echt bei diesen Brüdern, bis zu einem gewissen Punkt, doch wie die Tage sich addieren, die Orgie von Weihnachtswünschen immer ungesündere Ausmaße annimmt, ohne daß vor St. Stephan an ein Abflauen zu denken wäre, entschließen sie sich, mehr professionell auf Italiener zu machen, den evakuierten Damen feurige Blicke zuzuwerfen und Techniken zu ersinnen, den Sack mit einer Hand zu balancieren, während die andere "tot" spielt und nur dort zum
Leben erwacht, cioe, wo die Menge sich besonders dicht und weiblich drängelt, ziellos und... na, vielversprechend eben. Schließlich geht das Leben weiter. Beide Arten von Gefangenen wissen das, doch für die Engländer, die aus CBI zurück sind, gibt's keine mano morto, keinen Absprung vom Tod ins Leben auf die bloße Verheißung einer hübschen Arschbacke,
eines weichen Schenkels hin, um Gottes willen, Tod und Leben, das ist kein Spiel! Sie wollen keine Abenteuer mehr: nur ihre gute Alte, wie sie am guten alten Herd hantiert oder die Falle vorwärmt, Kricketspieler im Winter, sie wollen nur die halb von allem losgelöste, laubwelke Sonntagsschläfrigkeit eines verdorrten Gartens. Und sollte sich dann doch die schöne neue Welt ereignen, ein edelfaules Fallobst, so wird die Zeit gewiß noch reichen, sich darauf einzustellen ... Was sie sich wirklich wünschen diese Woche, fast schon ein Nachkriegsluxus, ist die elektrische Eisenbahn für die Kinder, ein Versuch, die Skala dieser kleinen Glattgesichter hier zum Leuchten zu bringen, den Maßstab der eigenen Fremdheit, Gesichter, die man von Photos kannte, plötzlich lebendig geworden, oohs und aahs, aber noch nicht, nicht hier auf dem Bahnsteig, hier nichts von dem, was wirklich not tut: der
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