Die Enden der Parabel
Fisch, trocken vor Angst, faulig vor Tatenlosigkeit, speichelüberflutet beim Gedanken an verwehrte Schlemmereien, statt welcher sie sich mit dem Fraß der Woche zu begnügen hatten, den Nierenpasteten, der Milch mit Wasserzusatz, dem Waffelbruch, den man für halb so viele Marken kriegt... und ist Menthol nicht wie dafür geschaffen, jeden Morgen gerade genug von all dem meerwärts fortzutragen, wo es im Teer der Küstenstreifen ein klebrigzähes Mosaik aus überstaubten Riesenblasen bildet, das die Kloaken nach ihrem Meisterplan ernähren und über See verbreiten, während die alten Zahnpastatuben eine nach der anderen geleert und an den Krieg zurückerstattet werden, Berge von schwach duftendem Metall, Pfefferminzphantome in Winterbaracken, von Londons achtlosen Händen gepreßte und geprägte, zwischen Handballen und Handtellern mit interferierenden Mustern bedruckte Tuben, die nun auf die Schmelze warten - die wahre Wiederkunft -, um sich zu Lötmetall zu läutern, zu Platten, zu Legierungen für Gußstahl, Kugellager, Kolbenringe, versteckte Rohrauskleidungen in Nebelhörnern, die die Kinder jener häuslichen Inkarnation niemals zu Gesicht bekommen werden. Und dennoch hat das Kontinuum zwischen Fleisch und brüderlichen Blechen, zwischen Heim und grenzenlosem Meer Bestand. Es ist nicht der Tod, der die Inkarnationen voneinander trennt, sondern Papier: papierene Verträge, Papierroutine. Der Krieg, das Empire, erläßt solche Barrieren zwischen unseren Leben. Der Krieg ist angewiesen auf diese Unterteilungen, grobe und feinere, auch wenn die Propaganda immer wieder Einheit, Bündnis und Zusammenhalt verherrlicht. Der Krieg scheint keine kollektive Bewußtwerdung des Volkes zu wünschen, nicht einmal von der Art, wie die Deutschen sie zustande gebracht haben, ein Volk, ein Führer er will eine Maschinerie aus vielen, voneinander unabhängigen Teilen, nicht Einheit, sondern Komplexität ... Doch wer kann sich schon anmaßen, zu sagen, was der Krieg wirklich will, riesig und unnahbar, wie er ist ... so losgelöst von allem. Vielleicht ist der Krieg gar kein bewußtes Wesen - vielleicht gar nichts Lebendiges. Vielleicht ist er nur etwas, das dem Leben grausam und zufällig ähnelt? Bei der "Weißen Visitation" sitzt zum Beispiel ein Langzeit-Schizo ein, der sich selbst für den Zweiten Weltkrieg hält. Er kriegt keine Zeitungen, er weigert sich, Radio zu hören, und doch stieg seine Temperatur am Tag der Landung in der Normandie plötzlich auf 40 Grad an. Jetzt, da sich die Zange von Ost und West her langsam schließt, spricht er von Finsternis, die sich über seinen Geist legt, von einer Abrasion seines Selbst... Die Rundstedt-Offensive richtete ihn noch ein wenig auf, gab ihm noch einmal Lebensmut - "ein herrliches Geschenk zu Weihnachten", vertraute er dem Pfleger auf seiner Station an, "jetzt ist die Zeit der Geburt, des Neuanfangs". Wenn in Hörweite Raketen einschlagen, rötet sich sein Gesicht, sein Muskeltonus steigt, er strahlt, springt auf, marschiert durch den Krankensaal, Freudentränen schimmern in seinen Augenwinkeln, und selbst die anderen Patienten werden von seiner Stimmung angesteckt. Doch seine Tage sind gezählt. Er wird den V-E-Day nicht überleben. Ist er schon nicht der Krieg persönlich, so doch dessen Kind und Stellvertreter, dem eine Lebensspanne zugemessen ist mit Saus und Braus, doch kommt der feierliche Tag, dann basta. Der wahre König dagegen stirbt nur einen Scheintod. Vergeßt es nicht. Jede Menge junger Männer kann es treffen, an seiner Statt zu sterben, während der wirkliche König, dieser gerissene, alte Mistkerl, überlebt. Wird er dem
Stern seine Reverenz erweisen, neben den anderen Königen heuchlerisch sein Knie beugen zur Wintersonnenwende dieses Jahres? Wird er Wolfram, Kordit und Superbenzin in den Stall tragen als Geschenk? Wird das Kind in seinem Bett aus goldenem Stroh aufblicken, in die Augen des alten Königs starren, der sich lang auseinanderfaltet und verneigt, sein Geschenk entbietet? Werden sich ihre Blicke treffen, und welche Botschaft, welches Einverständnis wird zwischen dem König und dem Prinzenkind gewechselt werden? Lächelt das Kind, oder reißt's eine Fratze? Wie hätten Sie's denn gern?
Der Advent weht von See, über ein Meer, das heute bei Sonnenuntergang grün und glatt leuchtete wie eisenhaltiges Glas: weht täglich über uns aus einem Himmel, der schwanger ist mit Heiligen, Herolden und schlanken Trompeten. Wieder ein Jahr von Hochzeitskleidern,
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