Die Enden der Parabel
Krieg hat sie erfroren und begraben, diese unbekümmerten, zerstörerischen Signale der Liebe. Die Kinder haben das Spielzeug des Vorjahrs ausgepackt und wiedergeborene Konservendosen gefunden. Sie haben kapiert, daß dies die Kehrseite des Weihnachtsspiels ist, die unvermeidliche vielleicht. In den Monaten zwischen den Festen, Frühlingen und Sommern auf dem Land, haben sie mit richtigen Konservendosen gespielt, schweren und leichten Panzern, Bunkern, Schlachtschiffen, fleischrosa, gelb und blau auf dem Gefechtsfeld staubiger Fußböden in Rumpel- oder Speisekammern, unter den Betten oder Sofas ihres Exils. Und nun ist es wieder soweit. Das Baby aus Gips, der blattgoldbereifte Ochse, das Lamm mit den Kinderaugen, sie werden wieder wirklich, Bemalung nimmt Leben an. Der Preis des Glaubens wird nicht gezahlt - alles geschieht wie von selbst. Es ist das Neugeborene Kind. In der Zaubernacht der Geburt werden die Tiere zu sprechen anheben, und der Himmel wird Milch sein. Die Großeltern, die jede Woche den Radiodoktor gefragt haben: Was sind Hämorrhoiden? Was ist ein Emphysem? Was ist ein Herzanfall? werden ihre Schlaflosigkeit übergehen und wieder einmal darauf warten, daß das alljährliche Unmögliche nicht eintrifft,
und werden dennoch einen blanken Hoffnungsrest bewahren (dies sind die Hügel, der Himmel kann uns ein Licht zeigen), der wie ein Nachklang ist von etwas, das man einst allzusehr begehrte, kein völlig blinder Fleck, aber doch viel zuwenig, um auch nur annähernd ein Wunder gewesen zu sein ... So halten sie ihre sweater- und schalvermummten Vigilien, theatralisch verbittert, doch das Ferment in ihrem Inneren geht jeden Winter durch eine neue Stufe der Vergärung, wird immer weniger dabei und lebt doch immer wieder auf, sobald die Jahreszeit kommt ... jetzt schon fast nackt, die schimmernden Anzüge und Kleider aus der Blütezeit ihrer Sauftouren längst in Fetzen gerissen und bei Vermietern und Fremden um Warmwasserrohre und Heizkörper gewickelt, um die Identitäten der Häuser gegen den Winter zu verteidigen. Der Krieg braucht Kohle. Sie haben die vorletzten Dinge geregelt, haben akzeptiert, daß der Radiodoktor ihnen Krankheiten bestätigte, die sie längst in ihren Körpern wußten, und zu Weihnachten sind sie nackt wie gerupfte Gänse unter ihren wollenen, düsteren, billigen Alteleutewindeln. Ihre elektrischen Uhren gehen vor, selbst der Big Ben wird rascher gehen, bis der neue Frühling endlich Einzug hält, nur schnell, schnell, und keiner außer ihnen scheint es zu begreifen oder sich darum zu kümmern. Der Krieg braucht Elektrizität. Es ist ein spannendes Spiel, Electric Monopoly, zwischen den Kraftwerksgesellschaften, der zentralen Energiebehörde und den anderen Agenturen des Krieges, die Netzzeit und die offizielle Zeit von Greenwich synchron zu halten. In der Nacht, in den tiefsten Betonschächten der
Nacht, drehen die Generatoren, deren Standorte geheimgehalten werden, schneller, und die Zeiger der Uhren neben all den alten, schlaflosen Gesichtern folgen ihnensummend, heulend, anschwellend zum schwindelerregenden Klang einer Sirene fressen sie ihre Minuten in sich hinein. Es ist der Irre Karneval der Nacht. Da gibt es Jux und Tollerei im Schatten der Minutenzeiger, Hysterie in den bleichen Gesichtern zwischen den Ziffern. Die E-Werke sprechen von Überlasten, von kriegsbedingten Mehrentnahmen, die so gewaltig sind, daß die Uhren nachgingen, käme die nächtliche Raserei dem nicht zuvor, doch diese Lasten, täglich erwartet, sie bleiben aus, und immer schneller fließt's im Netz, und die alten Gesichter starren auf die Zifferblätter und denken Komplott, und die Ziffern wirbeln auf die Weihnacht zu, eine Gewalttat, eine Nova des Herzens, die uns alle verwandeln, uns alle für immer auf die längst vergessenen Wurzeln unseres Seins zurückführen wird. Doch noch, an diesem Abend, ist der Nebel auf dem Meer sanft ausgezacktes Perlmutt. Oben, in der Stadt, knistern die Lichtbogen der Lampen, wutentbrannt, leuchten diesig über die Mittelstriche der Straßen, zu eisfarben, um Kerzen, zu frostbetaut, um ein Brandopfer zu sein ... Hohe, rote Busse legen sich in Kurven, Scheinwerfer, nicht mehr verdunkelt, parieren, kreuzen, springen quer und blenden, faustgroße Fetzen von Nässe wehen vorbei, trostlos wie die Strande unter dem Perlgrau des Nebels, wo Stacheldraht, der den zuckenden Pulsschlag des Stromes nie gefühlt hat, der stets nur passiv oxydierend in der Nacht lag, jetzt bitterkalt
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