Die Enden der Parabel
und verschlungen, scharf wie der Stachel des Skorpions, gleich wogendem Seetang über all diese Meilen von spurenlosem Sand webt, vorbei an Kreuzfahrern, die der alten Welt Urlaub gaben, Weinberge, Olivenhaine, tabakduftende Abende auf der anderen Seite des Krieges, bis sie aufgegeben wurden in den letzten Sommern der Friedenszeit, ausgeschlachtet bis auf rostige Wellen und Träger, erfüllt nur noch vom Salzgeruch dieses Strandes, über den niemand wandern kann, wegen des Kriegs. Hinter den Hügeln, jenseits der Richtscheinwerfer, in deren Strahlen sich die Zugvögel im Herbst Nacht für Nacht zusammenballten, verhängnisvoll ins Licht gebannt, bis sie erschöpft vom Himmel fielen, ein Platzregen von toten Vögeln, sitzen die Gläubigen in der ungeheizten Kirche bei der Abendandacht, zitternd und stumm angesichts der Frage des Chores: Wo sind die Freuden? Wo sonst als dort, wo die Engel neue Lieder singen und die Glocken läuten am Hofe des Königs. Eia seltsamer, tausendjähriger Seufzer -, eia, warn wir da! Wären wir doch nur da. Die müde Männerherde und ihr schwarzer LeitHammel holen aus, so weit sie können, so weit um ihre Schafhürde, wie das Jahr sie noch ziehen läßt. Kommet also. Vergeßt ein Weilchen euren Krieg, Krieg von Papier oder von Eisen, kommt her mit eurer Liebe, eurer Angst vor dem Verlieren, die euch erschöpft. Den ganzen Tag hat sie euch zugesetzt, hat euch verführt, beschwatzt, gezwungen, an so vieles zu glauben, was nicht wahr ist. Seid ihr das denn, diese unbestimmt verbrecherische Fratze auf eurem Ausweis, deren Seele von der Regierungskamera geholt wurde, als die Guillotine des Verschlusses fiel? Oder auch mit eurem Herzen in der Studiokantine blieb, wo die NAAFI-Mädels, die Mädchen namens Eileen, gerade den Fang dieser Nacht sichten, die gummiartigen, kastanienbraunen Organe mit den gelben Fettgirlanden sorgfältig in Kühlfächer sortieren - oh, Linda, komm, fühl mal dieses! Leg deinen Finger hier auf die Kammer, ist das nicht toll, es schlägt noch!... Alle, auch die, von denen du es nicht vermutest, wissen davon, alle, nur du nicht: der Kaplan, der Doktor, deine Mutter, die so gerne diesen Goldenen Stern aufhängte, der laue Sopran gestern abend im Home Service der BBC, nicht zu vergessen Mr. Noel Coward, der sich so elegant und flott über den Tod ausläßt und das, was nachher kommt, und schon im vierten Jahr das Duchess damit füllt, die Burschen in Hollywood, die uns erzählen, wie prima wir's hier drüben haben und wieviel Spaß, Walt Disney, der seinen Elefanten Dumbo sich an dieselbe Feder klammern läßt wie all die Kadaver, die heute nacht zwischen den weißgestrichenen Panzern unter dem Schnee liegen, all die Hände, die sich erstarrt um eine Wundertätige Medaille krampfen, ein Halbdollarstück, auf dem die Sonne grinsend unter den Faltenwurf von Miss Libertys Gewand zu schielen versucht, ein Amulett aus alten Knochen, etwas, an dem sie stummen Halt zu finden hofften, als sie im 88er-Feuer lagen -was glaubt ihr, was das ist, ein Kindermärchen? So etwas gibt's hier nicht. Die Kinder sind weit weg und träumen, doch für Träume hat das Empire keinen Raum, und darum heißt es "Adults Only" heute nacht an diesem Zufluchtsort mit seinem tiefen Lampenlicht aus präkambrischer Verwesung, das würzig ist wie Küchenduft und schwer wie Ruß. Und sechzig Meilen höher hängen die Raketen den unmeßbaren Augenblick über der schwarzen Nordsee, bevor sie fallen, immer schneller, zu orangeroter Glut, ein Weihnachtsstern in hilflosem Sturz zur Erde. Tiefer am Himmel sind die fliegenden Bomben unterwegs, brüllend wie der Leibhaftige auf der Suche nach einem Opfer, das sie verschlingen können. Es wird ein langer Heimweg heute nacht. So lausche dem Gesang dieses verfehlten Engels, nimm wenigstens im Hören an der Gemeinschaft teil, selbst wenn die Sänger für deine Hoffnungen und für dein dunkelstes Entsetzen nicht den genauen Ausdruck finden. Hör ihnen trotzdem zu. Abendgesang muß es hier schon gegeben haben, lange bevor man von einem Christus hörte. So lange mindestens, wie es schlimme Nächte gibt wie diese - etwas, das die Möglichkeit einer anderen Nacht lebendig hielt, die den Weg nach Hause erhellen könnte mit Liebe und Hahnenschrei, den Widersacher bannen und die Grenzen niederreißen, die unsere Länder, unsere Körper, unsere Fiktionen von uns selbst, die alle falsch sind, voneinander trennen: für diese eine Nacht, die nur den klaren Heimweg läßt und die
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