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Die Enden der Welt

Die Enden der Welt

Titel: Die Enden der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Willemsen
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gestrichenen Hütten, davor Hunde und Kinder, Ochsenkarren hinter Pferdekutschen, weit entfernt ein Lautsprecherwagen mit einer Musik aus Klopfen und Wimmern.
    Schuljungen kommen Arm in Arm die Straße herunter. Der Geruch von Dörrfisch ist in der Luft, im Respektsabstand zum Zug warten Bauern, Viehtreiber und Mönche, Pferdegeschirre klingeln, bis das Donnern schwerer alter Lastwagen hineinbricht. Dann stellt sich die Stille wieder her, in die nur manchmal das Rufen eines Goldwäschers am Ufer dringt. Von rechts und links scharen sich dann die Kollegen um die Schüssel und deuten mit Zeigefingern vielsagend in den kleinen Matsch.
    »Man sollte in Freetown sein«, sagt Khin Maung. Aus der Zeitung hat er erfahren: In Freetown in Sierra Leone legten starke Regenfälle Diamanten frei. Aus allen Himmelsrichtungen reisen die Leute mit primitiven Werkzeugen an, Spaten und Schippen, Netzen, Sieben und Waschpfannen, sie haben keine Ahnung. Auch Waffen bringen sie mit. Es kommt zu schweren Zusammenstößen, die Regierung setzt Militär ein. Er hat das gelesen, als handele die Zeitung von ihm. Wohnt er nicht selbst im Krieg?
    Eine birmanesische Mutter auf der anderen Seite des Gangs schaukelt ihr kleines Mädchen auf dem Schoß. Nach jedem Jauchzen des Kindes entschuldigt sie sich im Kreis für den Lärm.
    »O, don’t worry, that’s the sweetest noise.«
    Hört es und legt dankbar die flache Hand auf die eigene Brust.
    »Is it, indeed?«, fragt sie ungläubig, als habe sie es so nie gehört, und sieht ihr Mädchen an, mit anderen Augen.
    Der einzige weitere Fremde in der Holzklasse ist ein Kanadier, der seinen Heroinentzug in einem nordthailändischen Kloster absolvieren wollte, aber floh angesichts von Kaulquappen im Badewasser, Läusen im Bett, dem erbärmlichen Essen und einer Unterbringung wie von Gefangenen.
    »Sie ketten dich an. Wenn du zu fliehen versuchst, prügeln sie dich mit dem Gummischlauch. Keine Sanftmut, keine Milde. Nur Dreck, Gewalt und Willkür. Aber es gibt einen Fischteich im Hof und Mangobäume, unter denen man sitzen und Musik machen kann.«
    Nun ist er zum zweiten Mal in Birma, um seinen Rückfall zu organisieren. Auf den Unterarm hat er sich in abwärts laufenden Buchstaben »hellian« tätowiert, der Einwohner der Hölle.
    Als ich von Khin Maung wissen will, was der Zweck seiner Reise war, reißt er seine großen seelenvollen Augen auf und sagt nichts.
    »The purpose«, sage ich, »the purpose of your travel.«
    Sein Blick ist von freundlicher Begriffsstutzigkeit, und Mariam sieht unter ihrem stehengebliebenen Lächeln ernst in sich hinein. Das ändert sich auch nicht, als er aufzählt, was er in Rangun gekauft habe, Papier, Leim, verschiedene Messer … Er werde mir ein Buch binden, sagt er, mit in Gold gestanzten Lettern. Monate später wird es wirklich bei mir eintreffen, es ist blau, trägt unsere Namen, und jede Linie sieht aus, als sei sie mit der Hand gezogen.
    Jetzt sei die Arbeit über lange Zeit gesichert, er werde …
    … mir nicht sagen, warum er sich auf die Reise gemacht habe, nicht wahr?
    Es braucht noch eine Weile, viel Hin- und Hersehen und Sich-des-Einvernehmens-Vergewisserns, bis das liebenswerte Ehepaar mit seiner Geschichte herausrückt, sind sie doch ausgezogen, etwas kaum Gestattetes, nämlich schlechthin Sinnloses zu tun: Einmal in ihrem Leben wollten sie das Meer sehen, wollten über Rangun hinaus die wenigen Kilometer bis zum Ozean zurücklegen und sich an seinem Anblick freuen. Mehr nicht.
    »Es gibt für euch aber kürzere Wege zum Meer.«
    »Aber die Genehmigung für eine Reise nach Rangun bekommt man leichter.«
    In der Hauptstadt waren sie in eine Polizeisperre gelaufen, und man hatte ihnen die Weiterreise untersagt.
    »Warum?«
    Wieder lacht Khin Maung. So kann nur ein Fremder fragen.
    Seine Fragen sind andere: Was wird aus den Dingen, die sich im Spiegel des Meeres reflektierten. Er hat einmal gelesen, sie seien alle noch da, die untergegangenen Schiffe, die Silhouetten der Frachter, die Flaschen sogar, die auf den Wellen tanzten. Sieht man sie, fühlt man sie noch?
    Seine Fragen sind durchwegs poetisch. Meine Antworten sind es nicht. Doch das bremst seinen Eifer keineswegs. Warum, will er sogar wissen, soll das Meer, gerade das Meer, ein Gleichnis für die Liebe sein? Ich sage:
    »Grenzenlos sieht es aus, seine Farbe ist die der Treue, es bewegt sich im Stillstand …«
    »Es tobt doch.«
    Die Eheleute sitzen da, die Knie eingewickelt in ihren Handflächen,

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