Die Enden der Welt
denn er ist gearbeitet, ist Ergebnis einer Leistung. Doch während sie gerade noch großherzig klingt, kreisen ihre Gedanken im nächsten Augenblick um diese abstoßende Veranlagung der Einheimischen, sie bei jeder Gelegenheit betrügen zu wollen. Sie ergeht sich in langen Berechnungen der Tarife für Bahnen, Museen, Rikschas. Zwar hat sie alle diese Angaben aus alten Büchern, sie lassen sich aber mit den heutigen Wechselkursen immer noch vergleichen und dann mit dem Taschenrechner neu kalkulieren. Auch hat sie mehrere Geschichten parat, in denen sie die Oberhand behielt, sich nicht betrügen ließ und einen Handel glücklich für sich entscheiden konnte.
Nein, sie werde hier »die Preise nicht kaputtmachen«, sagt sie. Sie nicht! Wirklich gelassen wird sie deshalb nur in großen Hotels mit feststehenden Tarifen. Aber wenn dann dort die Speisekarte Lücken aufweist … Und wenn dann auch noch so viele Kellner herumstehen, so viele untätige Kellner wie hier …
»Die halbe Speisekarte haben Sie nicht. So.«
Sie mustert den Kellner, als sei er die Karte.
»Was
haben
Sie denn? Keine Ente? Sie haben keine Ente in diesem Land? Draußen ist mir aber die eine oder andere Ente aufgefallen. Die eine oder andere«, lacht sie.
Der Kellner tut ihr nicht den Gefallen, in Tränen auszubrechen, aber er schüttet die Eiswürfel unbeholfen über den halben Tisch.
»Macht nichts«, beschwichtigt Belinda, »no problem«, und wischt die Würfel aus ihrem Schoß auf den Dielenboden, wo sie klackernd dahinschliddern und von zwei traditionell gewandeten Mädchen in einem Becher gesammelt werden müssen.
Und Belinda? Sie kennt das Metier, ist sie doch selbst auf einer höheren Position in der Dienstleistungsbranche beschäftigt, dort, wo Begriffe wie »corporate«, »assistant« »manager«, »director« und »center« irgendwie im Sternbild eines Berufes zusammentreten. Man kann ihr nichts vormachen, und deshalb wird sie auch in Birma nicht zu sich kommen. Mit den immer selben Augen wird sie in ständig wechselnde Landschaften, gesellschaftliche Gefüge und moralische Situationen sehen, und am Ende all das hier kondensieren zum Standpunkt der Eingeweihten, die immerhin da war, die also mitreden kann, wo andere schweigen sollten: »Birma ist … die Menschen dort wollen einfach … die Religion macht sie … mit ihrer Armut kommen sie vergleichsweise …«
Ihre Selbstherrlichkeit stimuliert allenfalls den aggressiven Eros, wie mir bewusst wird, als sie in ihren kurzen Pyjama-Shorts aus dem Bad in den Raum schlendert.
In der Nacht saßen wir dann in unseren hohen Betten, tranken Flaschenbier, redeten vor uns hin, und die Mischung aus dem kleinlichen imperatorischen Habitus und ihrer Verlorenheit in der Fremde gab ihr etwas so Reizvolles, dass ich ihr immer wieder die Flasche zum Anstoßen hinhielt. Sie gestand mir dafür, dass es für einen Mann bisher einfach »keine Zeit« in ihrem Leben gegeben habe. Danach sprachen wir über das, was andere in unserer Lage jetzt sicher machen würden. Doch fanden wir beide keinen Eingang in diese Lage.
Am nächsten Tag kompensierte ich mein schlechtes Gewissen des guten Hotels und der herrischen Gesellschaft wegen, indem ich mir im Bahnhof ein Billigticket für die Fahrt nach Mandalay buchte. Ich setzte mich in die Holzklasse zu den Bauern, den Arbeitern, den Viechern.
Die Kompartimente der birmanesischen Staatsbahn bestehen aus zwei einander gegenüberstehenden hellen Holzbänken, auf denen jeweils drei schmale Menschen nebeneinander Platz finden können – oder ein Ehepaar mit Truthahn, wie mir gegenüber. Der Truthahn ist eine hässliche Kreatur, die dauernd dünkelhaft aus dem Fenster sieht und jeden Augenkontakt vermeidet. Unter dem Kopf hängt der rote Hautlappen wie ein Tumor. Das Besitzerpaar dagegen ist wunderschön und animiert. Zunächst traut sich nur der Mann mit den großen tiefen Augen, mich anzustrahlen. Maßlos, als flirte er, bleiben seine Augen an den meinen hängen.
Seine Frau Mariam ist eine stillgelegte Schönheit, die offenbar von ihrem Reiz nicht weiß. Sie hat die Farbe der Erde, ihre Gliedmaßen sind schwer, ihre Augen ruhen lange auf einem Ding, ehe sie sich erschöpfen, und wenn sie einen Gegenstand nimmt, dann schwebt ihre Hand an, legt sich darauf wie zum Schmusen und hat ihn gestreichelt, ehe sie ihn benutzt. Auch ihr Lachen macht sich von sehr weit innen auf den Weg. Wenn es aber auf dem Gesicht angekommen ist, dann breitet es sich aus und geht nicht,
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