Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Endlichkeit des Lichts

Die Endlichkeit des Lichts

Titel: Die Endlichkeit des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Riedel
Vom Netzwerk:
meiner eigenen Sprache. Das hängt in Schriftzeichen über meinem
Bett. Niemand kann es lesen, aber ich schlafe gut darunter ein.«
    »Im Feng-Shui benutzen sie die
Fu-Tschön-Methode. Beschwichtigung durch Zeichen. Auf das Holz von Mandelbäumen
werden Abwehrsymbole gemalt. Die chinesischen Zeichen ähneln unserer
Zellstruktur.«
    »Ich hoffe, Sie lachen nicht, wenn ich
Ihnen die Geschichte vorlese.«
    »Warum? Ich höre gern Geschichten. Wer
es wagt, eine aufzuschreiben, überlebt.«
    »Sie haben sich doch über die jungen
Dichter lustig gemacht«, sagte sie.
    »Aber sie haben es nicht gehört.
Eigentlich bin ich voll der Hochachtung.«
    »Kalmus«, sagte Verna und zeigte auf
die Kolben, die im Wasser vorbeizogen.
    »Meine Briefträgerin benutzt ihn gegen
Zahnweh. Im Jemen und in Vorderindien hat man allerdings aus Kalmus heiliges
Salböl gemacht.«
    »Hören Sie auf, mich zu beeindrucken«,
sagte sie.
    »Wir sollten im Ort ein Taxi
bestellen«, sagte er, »es gibt hier diesen Fahrer, er hat ein Gesicht wie der
Ulugh Muz Tagh in Kunlun.«
    »Nun hören Sie schon auf. Ich bin
nervös.«
    »Das brauchen Sie nicht, gleich legen
wir an.«
    Es würde ein schönes Kuddelmuddel
geben. Es war ein schönes Kuddelmuddel. Alakar dachte an Vernas Izzy, der zu
ihrem Vatergott geworden war, und an den Fabrikanten, ihren richtigen Vater,
dessen Izzy-Namen sie niemals hören würde. An den unglaublichen Zufall, an Synchronizität
und ihre Muster hinter den Mustern, die sein eigener Vater bis zum heutigen Tag
verleugnete. An die jungen Dichter dachte er, die nicht mehr als Physiker
waren, und die jungen Physiker, die zu den wirklichen Dichtern wurden. Sie
wollten in Sinfonien reden.
    Die Welt begann zu verstehen.
    Der Wind frischte auf, als sie
anlegten, und in Erma Zoffis Fenstern brannte ein warmes Licht. Wenn sie ihn
sah, würde sie ihn rufen. Al-kalar, Al-kalar, noch mehr Geld, noch mehr Freude.
Verna Albrecht stöckelte den Steg herunter und machte ein finsteres Gesicht. Es
war ein Fehler gewesen, sie mitzunehmen.
    »Morgen früh suchen wir die Dreifarbige
Koralle, Ramaria formosa«, sagte er, »sie ist nicht eßbar, sieht aber wirklich
schön aus.«
    »Ein Pilz?«
    »Ja. Sehr giftig.«
    Der Taxifahrer schlief schon, und
wortlos legten sie die zwei Kilometer zu Fuß zurück. Wie ein Zeigefinger lag
der Fluß in der dunklen Bucht, Gottes nasses Seziermesser, aber Alakar hütete
sich, ein Wort darüber zu verlieren. Wellen schwappten gegen den Steg, im Geäst
der Eiben leuchtete schon von weitem Arillus, der rote Samenmantel, und am
Steinhaufen neben der Tür bewegte sich ein Schatten. Als Alakar aufschloß,
flitzte der Salamander wie ein winziges Komma über seine Füße. Hinter sich
spürte er Verna, reglos wie damals die Puppe im Flur. Er hoffte, daß Vera
Albert nicht auch schwanger war. Geteilte Zwillinge, das war es, was ihm noch
fehlte.
    Er hatte nun Glauben genug.
    »Nur daß wir uns nicht falsch
verstehen«, sagte er und machte Licht.
    »Eliot«, sagte sie und zeigte auf das
Porträt, »wohnen Sie beide hier ganz allein?«
    »Nein, manchmal leistet uns Thoreau
Gesellschaft. Aber es ist mühsam mit ihm, er will, daß wir von acht Dollar
täglich leben. Wieviel wäre das umgerechnet?«
    Sie wußte, daß er wußte, daß sie Angst
hatte, darum setzte sie sich ohne Umschweife hin, klappte ihre Tasche auf und
zog einen Packen Papier heraus. »Ich denke, ich fange mal an.«
    »Im Mantel?«
    »Natürlich im Mantel. Setzen Sie sich.«
    »Brauchen Sie mehr Licht?«
    »Hören Sie, ich mach das nicht zum
Spaß. Jetzt kommen Sie und lassen Sie es mich hinter mich bringen.«
    Er hoffte, daß es nicht zu schlecht
war, daß er seine Gesichtszüge würde beherrschen können. Auf der anderen Seite
des Tisches nahm er Platz und sah sie abwartend an, als bestünde das Risiko,
daß sie eine junge Dichterin war und plötzlich ein Bauchnabelpiercing
entblößte.
    »Keine Angst«, sagte er, »es ist nicht
die Olympiade. Ich verstehe auch gar nicht allzuviel davon.«
    Draußen schnackerte eine Elster, und
neben dem Sofa brannte das kleine Licht.
    »Also gut«, sagte Verna, »dann fang ich
mal an. Einst lebte ein Mann«, sagte sie, »der verkaufte den Menschen Träume.
Ich habe Ihnen ja gesagt, daß es unoriginell ist, ich hatte Sie gewarnt.«
    Das hatte sie, öfter als sie ahnte.
    »Der Mann besaß die Fähigkeit«, las
sie, »ihnen ohne Worte Versprechen zu geben. Ihr Leben werde schön und bunt
werden und er könne ihre Probleme verschwinden

Weitere Kostenlose Bücher