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Die Endlichkeit des Lichts

Die Endlichkeit des Lichts

Titel: Die Endlichkeit des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Riedel
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großen Fortschritt bedeuteten. Nur noch eine kleine Durststrecke
mußte überwunden werden, um eine Ernte einzuholen, die sie alle reich machen
würde. Um diesen Reichtum gebührend zu empfangen, fingen die Bewohner an, ihre
grauen Häuser herauszuputzen. Die verwahrlosten Gärten wurden hergerichtet,
während der Mann eine Vielzahl vielversprechender Erfindungen machte. Manchmal
war es ein Türriegel, der von selbst schloß, und einmal sogar ein
ausgeklügeltes Belüftungssystem, das die stickige Sommerhitze aus ihren Häusern
vertreiben sollte. Aber als die Tage kürzer wurden und die Kraft der Sonne
schwand, fanden die Menschen sich immer öfter allein an ihren Tischen und
studierten die Pläne des Fremden. Doch die Freude, die sie früher erfüllt
hatte, blieb aus. Als sie versuchten, sich gegenseitig zu begeistern, klangen
ihre Stimmen matt, und die versprochene Zukunft verlor ihren Glanz, bis sie nur
noch wie eine schwache Erinnerung in ihnen glomm. Zuerst schickte man die
Kinder zu dem alten Haus, das liebevoll angemalt und ihm zu ungestörter Arbeit
an seinen Plänen überlassen worden war. Aber der, der sie früher auf dem Rücken
zu den Häusern der Eltern trug, saß bewegungslos an seinem Tisch und hörte
nicht das Klopfen an der Tür.«
    Ein Blatt fiel auf den Boden, aber
Verna beachtete es nicht.
    »Suchend schauten die Menschen sich
Wochen später um auf den Straßen, und manch einer wartete sehnsüchtig auf der
Bank inmitten des Ortes auf eine Begegnung mit dem Fremden, der nicht mehr
aufzufinden war. Er war wohl wirklich fort. Wenn die Frauen sich morgens
begegneten, zogen sich ihre Mundwinkel beim Gruß verbittert herunter, die
Männer blickten mißgünstig auf den anderen, und selbst die Kinder stritten
lauthals miteinander.« Verna stockte, und er hoffte, daß sie nicht anfangen
würde zu weinen.
    »Der Herbst hielt Einzug, die Farbe der
Häuser wirkte bleich, und hie und da blätterte der zu rasch aufgetragene Putz.
Die Stauden in den Gärten wurden fahl und später braun, bis sie am Boden
zerkrümelten. Vereinzelt standen Häuser leer, man sagte, die Bewohner seien dem
Mann hinterhergezogen, um ihr Glück wiederzufinden, das er mitgenommen hatte.
Andere sahen die welken Blätter in ihren Gärten und begannen zu rechen und
kramten nach Ideen in den Köpfen wie in leeren Töpfen. In einer Kammer aber
warteten die schönen Maschinen des Fremden, verschlossen in seinem leeren Haus.
Es gab Menschen im Ort, die die Kammer vergaßen, und auch solche, die sie nie
betreten hatten. Andere jedoch standen vor der Tür, die sie nicht öffnen
konnten, sosehr sie es versuchten. Verzweifelt am Riegel rüttelnd — vielleicht
war es eins der neuartigen Schlösser — , dachten sie daran, wie übel ihnen
mitgespielt worden war, und Wut und Haß füllten die Kelche ihrer Seelen, die
sie nie mehr selbst würden leeren können. Diejenigen aber, deren Köpfe an das
glatte Holz der Tür sanken wie an eine Stütze, spürten, wie zähflüssige
Taubheit sich in ihre Körper ergoß und ihnen die Glieder bleischwer und die
Blicke blind machte. Da, wo früher die Seele gewohnt hatte und die Hoffnung und
vielleicht sogar die Liebe, war nichts mehr zu finden.«
    Verna hob den Kopf und schaute ihn an.
    »Da geht er, der Seelendieb. Die
Taschen prall gefüllt mit den Köstlichkeiten der Liebe. Das Lächeln in seinem
Gesicht ist zufrieden, aber er fühlt sich matt und so schwach, und ihn quält
der Hunger nach der Speise, die er nicht findet.«
    Alakar sah in seine Hände.
    »Zu Ende«, sagte sie.
    Dies ist die Zeile, die von alten
Männern hinter den Gesichtern getragen wird, eine untröstliche Zeile,
zerbrochen wie Dachsparren, darunter Wind. Verna ließ die Schultern sinken,
während er in seine Hände sah. Es vergeht eine Sekunde, jede ihrer Stunden
breitet den Teppich aus, und ich beschreite sie, die verletzten Füße einwärts
gedreht, behutsam, wie man von Stufe zu Stufe geht, um irgendwann anzukommen.
    »Und?« sagte Verna. »Ist es schlecht? Ich
meine, sagen Sie mir die Wahrheit. Ich kann das verkraften. Es ist natürlich
konventionell. Aber ich brauchte eine Treppe, und dann hat es sich selbst
geschrieben.«
    »Sie erwarten nicht im Ernst«, sagte
er, »daß ich dazu etwas sage?«
    »Nein«, sagte Verna hastig, »natürlich
nicht.« Ihr Gesicht stürzte ab. Sie saß im Mantel, die Tasche auf dem Schoß,
darunter Papier.
    Aber er fühlt sich matt und schwach,
und ihn quält der Hunger. Nach der Speise, die er nicht

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