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Die Endlichkeit des Lichts

Die Endlichkeit des Lichts

Titel: Die Endlichkeit des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Riedel
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Lungenkrebs bekommen«,
sagte der Mann, der aussah, wie sie sich Saul Bellows Eugene Henderson
vorstellte, plötzlich erwacht, mit einem Löwen im Gepäck.
    »Ich will aufhören zu rauchen«, sagte
Verna, »ich will, aber ich kann nicht.«
    »Dann wollen Sie nicht«, sagte der
Akupunkteur, »und jetzt atmen Sie aus!« Die erste Nadel sauste in den Palast
der Ahnen im rechten Schulterblatt. »Lungenkrebs. Rauchen oder nicht rauchen.
Glauben Sie mir, in dem Moment, wo Ihnen selbst der Tod gleichgültig ist, wird
es von selbst aufhören. Sie werden es einfach nicht mehr tun.«
    »Wann?« fragte Verna.
    »Hoffentlich früh genug. Sonst müssen
Sie sterben.«
    Er lächelte sie an, als sie rief:
»Sagen Sie das bitte, bitte nicht!«
    Einst lebte ein Mann, der verkaufte den
Menschen Träume. Neben dem Computer dudelte der Fernseher, vertrieb mit dem
Gedudel Lungenkrebs und Akupunktur und füllte den Raum mit seiner Herrlichkeit.
In fünf Minuten kam Alakar Macody. Sie hatte ihm zugehört, jeden Abend, bevor
Annett mit ihrem Schleier aus Haar, das lang geworden war, durch Brainonia spazierte. Obwohl sie es nicht ertragen konnte, hatte Verna jede Show
angesehen. Masochismus, konstatierte ihr Neurologe und bot ihr ein Rezept für
Prozac an. Über Amokläufer hatte er gesprochen, gesellschaftliche
Verantwortung, und davon, daß Amok den Unbeteiligten schade, nicht dem, der Amok
lief. Verna zerriß das Rezept, weil bestimmt nicht ausgerechnet sie dazu
ausersehen war, Marx zu überflügeln. Gesellschaftliche Verantwortung fand nur
in Büchern statt.
    Wenn sie Brainonia sah, sah sie
Annetts Haar. Es glänzte, als würde sie es nach einmaligem Tragen an bedürftige
Frauen abgeben, denen Ostrogen fehlte. Ihre scharfen, schlanken Fingernägel
blitzten, wenn sie die Hände in die Kamera hielt.
    »Ich werde sterben«, sagte Verna laut.
Wir alle werden sterben, und im Grab wird es ruhig sein, bis auf das Geräusch
von wachsendem Haar. Über Grabsteinen würden weiße Fahnen wehen, und vielleicht
klänge ein Musikstück in der Luft, das Magnifikat von Bach, der siebte Chor. Er
übt Gewalt. Wenn das nur Üben war, was würde passieren, wenn Er zum
Meister wurde? In mutwilligen Ionen schwang sich ein Spinett auf, und die
sauerstoffarme Luft begann zu flackern.
    Als Alakar Macodys Augen erschienen,
übergroß und ausdrucksvoll, drehte Verna sich vom Computerbildschirm weg. Das Brainonia- Studio,
ein Stuhl, ein Tisch, ein Spiegel, sie zeichneten schon mittags auf und
wechselten dann die Kulissen. Immer hatte er die Hände gefaltet, wenn er las,
und sie fragte sich, ob die Pilze nun ganz aus seinem Leben verschwunden waren.
Es kam natürlich vor, daß sie seinen Anrufbeantworter anwählte, aber kurz vor
dem Signal zum Sprechen hängte sie auf. Sie konnte sich nicht satt hören. Er
schien nicht mehr im Wald zu wohnen. Ob er mit Vera Albert glücklich war?
    Seltsamerweise waren die Kopfschmerzen
verschwunden, seit sie zum letzten Mal mit Manasse im Bett gelegen hatte. Laß
uns wegfahren, sagte er, ich nehme Urlaub, und wir fahren nach Griechenland.
Seine Stimme war belegt, und sie strich ihm freundlich über die Schulter. Nach
Naxos, sagte sie, Naxos, die Beziehungsprüfungsinsel. Wenn du deine Beziehung
überprüfen willst, geh nach Naxos. Das hatte sie einmal in einem Café gehört.
Ist das die Insel mit den schönsten Männern der Welt? fragte Manasse mürrisch.
Ja, sagte Verna, aber mich interessiert das Licht, was du sagen würdest, wenn
du dieses Licht sehen könntest, morgens um fünf, wenn die Welt untergeht.
Wahrscheinlich würden wir uns nur streiten, sagte Manasse. Ach, sagte Verna,
wer weiß. Klaust du mir mein Kopfkissen, sagte er, klau ich dir deins. Erst ist
es schön und nachher immer dasselbe.
    Der große Kreis, sagte sie. Alakar
Macody hatte recht gehabt. Papier raschelte über seiner Stimme. Wie lange
hatten sie sich nicht gesehen, hundert Jahre?
    »Für uns gilt nur der Versuch «,
sagte er,» der Rest ist nicht unsere Sache.«
    Er sah aus, wie ein Mann im Fernsehen
aussehen sollte. Nach wie vor trug er seine Kameramann-Jacke. Erzählt mir
nichts von der Weisheit der Alten, nur von ihrer Torheit. Immer noch Eliot,
er lernte nichts dazu. Vielleicht war er auch einer von denen, die wollten, daß
die Zeit Stillstand. Aber das tat sie nicht. Sosehr man danach verlangte. Sie
hatte überlegt, eine Internetseite anzulegen. Wie geht es Verna? sollte sie
heißen. Aber wen interessierte das im Wust der anderen Projekte. Ihre

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