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Die Endlichkeit des Lichts

Die Endlichkeit des Lichts

Titel: Die Endlichkeit des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Riedel
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klangen. Dann sangen auch die Hunde, und kurz darauf schwärzte die
Welt sich, bis sie eine Farbe wie Onyx hatte und Verna in Rußpartikeln aus den
Poren strömte. Ein gnadenloser Fluß, auf dem ihr Körper trieb, die Glieder
Blumen in der heftigen Strömung. Snodgrass bellte aus der Ferne, und die
Fenster des Therapiezimmers spiegelten das Mittagslicht. Der Tod wird sein Glas
erheben, dachte Verna, und ich, ich werde meins an ihm zerstoßen. Und vor dem
Abend werde ich ihn endlich erkennen, meinen Bruder, meinen Bruder in der
Hoffnung.
     
    Lullula Arborea, die Lerche, stieg in
kühnen Spiralen über dem Feld hinter Blutbuchen und drohenden Wolkenbergen auf.
Alakar hatte das Mögliche getan, um seinen Besitz verwildern zu lassen, nichts
sollte an den Park in Lausanne erinnern, der Alwin Macodys ganzer Stolz gewesen
war. Eines schönen Tages hatte Antonio ihm im Garten mitgeteilt, daß er
Journalist werden wolle. Seitdem erinnerten ihn beschnittene Sträucher oder
kultivierte Obstbäume zwangsläufig an das Drama. Ungnädig hörte sein Vater zu,
aber seine Antwort bestand lediglich aus einem Wort: Was?
    Für ihn waren Journalisten Raubfische,
Mordwanzen oder schlimmere Plagen der Natur, auch wenn Antonio sich zu einer
umständlichen Rede aufschwang, in der es um Glaubensaufträge ging, um soziale
Ungerechtigkeit und sein Verständnis des Zeitalters der Aufklärung. Die ganze
Zeit lang schlurfte Alwin unwirsch neben ihm her, ohne auch nur einmal die
reichverzweigten Felsenbirnen zu erwähnen, denen neben dem Physikinstitut seine
Leidenschaft galt. Nicht einen Blick hatte er für die weißwolligen jungen
Triebe. Antonios Gesten wurden raumgreifender, je verbissener Alwin schwieg,
und wie unerwarteter Nebel quollen Gedanken über seine Zukunft, ja über die
Zukunft des Universums aus ihm heraus. Trotzdem wäre das Ganze kaum mehr als
einer der üblichen langwierigen Sonntagsspaziergänge geworden, hätte Alwin
nicht in seiner kalten Wut eine Schlehenwurzel übersehen. Er stolperte, fiel
und weigerte sich aufzustehen, selbst als sein Sohn ihn hilflos am Ärmel
zupfte.
    Als das Gesicht zu seinen Füßen sich
verzerrte, erkannte Antonio, daß er sich in seinem aufklärerischen Wahn auf
Abwege begeben hatte. Zweifellos war Schweigen manchmal sinnvoller, als
konsequent für sich selbst einzustehen. Bein gebrochen, sagte seine Mutter
kopfschüttelnd, während ihr Mann auf der Bahre fauchte und stöhnte. Mit starren
Pupillen blickte sie Antonios Prothese an, die klirrte, als er neben den
Sanitätern und seinem aufgebahrten Vater herlief. Alle zusammen rannten sie
durch das Kastanienzeug und die Platanen. Noch auf der Trage allerdings erholte
sich Alwin Macody und stieß unflätige Prophezeiungen aus, die sich auf die
Zukunft seines Sohnes bezogen. Er lärmte und schrie und sah dabei widersinnig
hübsch aus, friedvoll und duftig, wie unter einem Heiligenschein. Staub von den
rosafarbenen Scheinrispen der Roßkastanie hatte ihn überpudert, als er sich
nach dem Sturz vor lauter Schmerzen auf dem Boden wälzte. Sein Bein war
tatsächlich gebrochen, dreimal, kompliziert, und im Krankenhaus blickte die
Psychoanalytikerin demonstrativ von seinem Gips zu Antonios Prothese. Für sie
war der Unfall nur ein cleverer Winkelzug Alwins, der unbewußte Versuch, eine
letzte Gemeinsamkeit mit seinem Sproß herbeizuführen. Auf dem Heimweg konnte
sie selbst das muntere Klappern des falschen Gliedes nicht darüber
hinwegtäuschen, welch beträchtlichen Aufwand der neurotische Trick nach sich
ziehen würde. Fahrten hin und her, Rasuren und Fütterungsprozeduren, denn der
Physiker an sich schien wehleidig, wenn es um seine Physis ging.
    Unglücklicherweise hatte Alwin Macody
mit seinen Prophezeiungen hinsichtlich Antonios Karriere aber recht behalten.
Keine zehn Jahre nach dem Vorfall verband ihn mit seinem Beruf kaum mehr als
die Tatsache, daß auch T. S. Eliot Redakteur gewesen war. Nur zu deutlich
beschrieb das Gedicht Der Chefredakteur Alakars weltanschauliche
Enttäuschung. Wobei Eliots Chefredakteur mit der Rechts-Couleur nicht nur
Antonios Vorgesetztem bis aufs Haar glich, sondern auch Alwin Macody, dem
hellseherischen, blütenbestäubten Vater.
    Bei diesem Gedanken griff Alakars Hand
wie von selbst nach einem dünnen Ast des Spindelstrauchs, und ihn überkam der
unwiderstehliche Impuls, die Pfaffenhütchen mit Stumpf und Stiel aus dem
Erdreich zu reißen. Aber sosehr er auch zerrte und zog, Euonymus europäus
wehrte sich. Die Lerche über

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