Die Endlichkeit des Lichts
mußten abkühlen, wenn ihre Zeit kam, nur vermißte sie seine
Augen, die er abends vor ihr verbarg. Man konnte nicht wirklich erklären, was
die Veränderung ausmachte, ein geringfügig anderer Tonfall, ein Luftzug aus
einem schlecht schließenden Fenster, das Quietschen einer Tür. Als sie
versuchte, es aufzuschreiben, versagte zum ersten Mal ihre Phantasie, Bilder
begannen sich zu sperren, und die Worte, die sie in sich hatte, wehrten sich
gegen das Papier. Öfter gingen Schreibwerkzeuge zu Bruch, Federn sprangen, und
ihr Computer, ein verläßliches altes Gerät mit geringer Speicherkapazität,
hatte einen Totalabsturz. Die Festplatte war nicht mehr zu retten gewesen, und
ein beinah fertiger Roman schwamm den Styx hinunter.
Die Uhr tickte. Die Fliege summte.
Verna schwieg, weil sie an John Donne dachte, und Karla, ihre Therapeutin,
nickte aufsässig, ihr Nicken für Verweigerungskünstlerinnen.
»Schwarz«, sagte sie und betrachtete
die schwarze Jacke, die Verna ausnahmsweise trug, »was sagt Ihnen eigentlich
die Farbe Schwarz?«
»Schwarz ist keine Farbe«, sagte Verna,
während die Fliege gegen das Fenster knallte. »Schwarz ist ein Ansinnen.
Schwarz ist ein alter Fluß, umwölkt von Tieren, die ertrinken.«
Während Alakar den Bach von
Eichenblättern befreite, die sich den Sommer über im Wasser angesammelt hatten
und es zu stauen drohten, fragte er sich, warum ihm erst so spät aufging, daß
Verna Albrecht ein Abziehbild seiner letzten Freundin war. Doris Knöchel war
ein schwankendes Monument gewesen, außen opulent, innerlich aber hohl wie die
Stengel des Bärenklau, die er in seiner Kindheit zum Erbsenschießen verwendete.
Als Antonio seine Entlassungspapiere abholte, sah er sie zum ersten Mal, obwohl
sie seit Jahren im selben Konzern arbeiteten. Dafür wurde sie seine letzte und
schönste Entdeckung.
Hinter einem Metallschreibtisch stand
der Drehstuhl, darin saß sie, sehr schmal. In Antonios Vorstellung keimte
sofort ein Bild, er, wie er die fliegengewichtige Doris hochstemmte und ihr mit
aller Kraft harte grüne Erbsen in den Mund blies, die an ihrem anderen Ende
wieder herauskamen und an den Fensterscheiben des Büros abprallten. Alle waren
sie in dieser Phantasie nackt gewesen, Doris, er und die Erbsen.
Sie stellte sich als Stellvertreterin
des Personalabteilungsleiters vor, und er erinnerte sich, ihren Namen in der
Hauspost gelesen zu haben. In diesem ersten, wichtigen Moment blickte Doris ihm
entgegen, das helle Metall des Schreibtisches unterstrich angenehm die Farbe
ihrer Haut. Da saß sie und strahlte, ein stummes Fresko an einer Kirchendecke.
Unkompliziert, freundlich, spröde, wie sie sein mußte, ganz sein Typ, Eliots Schwester
der Schleier in den Eiben.
Endlich, sagte sie mit ihrer
splittrigen Stimme, die klang, als hätte sie Krokantgebäck im Mund, jetzt lerne
ich Sie endlich doch noch kennen, Antonio, und dann gleich aus so einem
traurigen Anlaß. Antonio war unsicher, ob sie das gleich bewußt falsch
verwendete oder schlicht nicht ahnte, was sie sprach.
Aus dem Ende, sagte er zu Doris
Knöchel, entsteht eben der Anfang. Sie strahlte wieder, obwohl der Satz nur ein
Zitat aus dem I-Ging gewesen war. Ist ja auch egal, sagte sie, denn ihre
Allgemeinbildung beschränkte sich auf Namen wie Gianni Versace, mit dem sie
verwandt zu sein vorgab. Zuerst vermutete er, daß Doris Knöchel die Gedichte in
ihm gerochen hatte und ihn deshalb am selben Abend auf ein Carpaccio beim
Italiener einlud. Das Ambiente wirkte zwar billig, war aber dann so teuer, daß
er sich bemüßigt fühlte, mehrmals auf der Toilette den Inhalt seines Portemonnaies
auszukippen und gewissenhaft nachzuzählen.
Geld, sagte er, aufgewühlt vom
schlechten Chianti in seinem Kristallglas, Geld ist nun mal weder Fisch noch
Wein. Obwohl die wundersame Vermehrung seiner Münzen ausblieb, fand Doris
Knöchel Antonios Esprit so betäubend, daß sie die Rechnung übernahm. Dafür
streichelte er ihren Oberarm, was zur Folge hatte, daß sie sich wenig später in
seinem Bett unter ihm wand. Ein nunmehr sehr lebendiges, unverhülltes Monument
auf zu lange nicht gewechselten Laken. Eine Weile kletterte sie an seinem
Körper hinauf und hinunter, aber nur so lange, bis sie entdeckte, daß Antonio
Macody etwas Entscheidendes fehlte. Ein Mangel, den sie in ihrer Ekstase
gänzlich übersehen hatte. Die Brust an seine Waden gepreßt, zuckte Doris Knöchel
nur einmal zusammen, als sie bemerkte, was los war. Antonio hatte das
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