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Die Endlichkeit des Lichts

Die Endlichkeit des Lichts

Titel: Die Endlichkeit des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Riedel
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genau
gespürt. Es war nämlich ein sehr heftiges Zucken gewesen, das sich eigentlich
dort unten, an seinem fehlenden Bein, so anfühlte, als ob sie im Moment ihrer
Entdeckung einen zweiten Orgasmus durchmachte. Vielleicht stimmte das auch,
vielleicht stand sie sogar auf Krüppel.
    Eigentlich, sagte sie und tat ganz
locker, als sie auftauchte, fehlt ja auch nicht wirklich etwas Entscheidendes.
Ich meine, kommt drauf an, was man unter entscheidend so versteht! Wenigstens
war diesmal ihre Satzbildung in Ordnung, deshalb goß er ihr einen tüchtigen
Schluck Grappa nach. Seit dem Entschluß, den Job aufzugeben, um das grüne Haus
draußen am Fluß zu kaufen, hatte Antonio ein beinah religiöses Verhältnis zu
Grappa und auch immer ein wenig davon im Haus. Doris hob das Glas, warf noch
einen schwer zu deutenden Blick auf sein Bein und schüttete so viel in sich
hinein, daß sie in Flammen aufgegangen wäre, hätte jemand mit einem Feuerzeug
auch nur gewinkt. Flüssigkeit schnurrte durch ihren langen Hals, aber er verlor
darüber kein Wort, und so verlief der Rest der Nacht im Dunst der
überschwenglichen Bekenntnisse aus Doris Knöchels intimer Schatzkiste. Eins der
Geständnisse, an das Alakar sich noch nach Jahren erinnerte, handelte von den
Umständen ihrer Berufswahl.
    Licht aus dem Bad blendete ihn, deshalb
machte er die Augen zu. Um so gefährlicher schien ihm das Sirren einer Mücke,
die immer wieder an seinem Ohr vorbeisauste. Ins Personalwesen ging ich, sagte
Doris und nahm noch einen Schluck, weil ich die Menschen so liebe. Ihre Stimme
klang weniger markerschütternd, wenn man sich die Decke über die Ohren zog.
Darum drehte Antonio Doris Knöchel um, sie lagen Löffelchen, und er hatte
Gelegenheit, sich unauffällig einen Zipfel des Steppbetts in die Ohrmuschel zu
drücken. Unablässig streichelte er ihren Bauch und fühlte sich wohl, während
ihre Sätze wie Regenfäden an ihm herabliefen. Daß sie Menschen so liebte, war
ihr schon als Kind klargeworden, als sie mit ihrem Großvater Ferien an der See
machte. Nach dem Krieg hatte er mit Nazigeldern Gas vermarktet, was weder sie
noch ihn bekümmerte, sondern sogar zu einer gewissen Intimität beitrug. Um
diese kostbare Zuneigung nicht zu gefährden, bedienten sich die beiden eines
fast freundschaftlichen Verhältnisses voller philosophischer Gespräche.
    Wem würdest du das Leben retten, Dodo,
lautete Großvaters Sinnfrage seinerzeit. Mir — oder lieber dem Hasso? Ohne
Zögern hatte Doris: Dir, Opa! geantwortet, obwohl ihr der verfilzte
Cockerspaniel angeblich viel näher stand. An dieser Stelle unterbrach Antonio
sie mit der Frage, weshalb sich damals Großvater und Hund eigentlich in
Lebensgefahr befunden hätten. Ein Scherz, der nicht mehr zurückzunehmen war.
Frag mich was Leichteres! sagte Doris und verdrehte die Augen. Ihrem Vater,
einem Fabrikanten, stand sie nicht sehr nah, da er ihre Mutter in ein Leben
voller Literaturzirkel getrieben hatte, wo sie Hölderlin oder den frühen Grass
zu verstehen versuchte. Ansonsten stürzte sie sich in englische
Liebesgeschichten und entfiel damit als Bezugsperson. Als weitere Folge ergab
sich, daß Doris aus Prinzip nicht las. Helfen. Lügen. Allein in der ersten
Nacht erwähnte sie mehrfach das zwanghafte Bedürfnis, notfalls auch die
Unwahrheit zu sagen, um fremde Weltbilder zu schützen. Antonio, das glaube mir,
sagte sie, wenn ich müßte, würde ich auch heute noch anderen zuliebe lügen!
    Mißmutig starrte sie an die Decke, als
ob sie von dort eine Strafe erwarte. Zwar hatte sie den bösen Liebeslügenzwang
zu bekämpfen versucht, aber Psychoanalyse war ein Weg, der an Doris Knöchel
scheitern mußte. Verbinden Sie, schlug ihr die verzweifelte Analytikerin vor,
doch einfach das Krankhafte mit dem Nützlichen und gehen Sie ins Personalwesen!
In ihrem Konzern half Doris Knöchel nun, wenn sie mußte, und log, wenn sie
konnte, und selbst als ihre Affäre mit Antonio ein schroffes Ende nahm, wußte
sie sich menschenfreundlich jeden Klatsches zu enthalten. Nach wie vor verfaßte
Alakar, der als As galt, was einfühlsame Naturbetrachtung anging, jene
Pilzglossen, in denen er das Gebaren von Fauna und Flora auf humanes Tun und
Lassen übertrug. Wobei ihn Doris allen Ernstes eifersüchtig gefragt hatte, ob
die Flora die Brünette aus dem Lagerversand sei. Sie schwankte zwischen Genie
und Debilität.
    Während ihm in seinem Bach Wasser durch
ein Loch in den Gummistiefel lief, dachte er an ihre ersten

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