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Die Endlichkeit des Lichts

Die Endlichkeit des Lichts

Titel: Die Endlichkeit des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Riedel
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dem
er Alwin sehr bewunderte und stets versucht war, seinem Vater die Entwürdigung
zu ersparen, ihn schlagen oder anderweitig züchtigen zu müssen. Mein Sproß,
stellte Alwin Macody ihn stolz und immer zu laut den Physikern vor, denen sie
sonntags morgens im Institut begegneten. Jeder einzelne von ihnen sah wie der
andere aus, die gleichen kargen, ungedüngten Gesichter. Vielleicht betrachteten
die Männer Batman deshalb wie eine absonderliche Pflanze und zogen ihn manchmal
sogar am Ohr.
    Die Pfaffenhütchen öffneten sich in
Richtung der Sonne, gelbgrüne Blüten wie Vernas Kleid. Was sollte der Quatsch
mit der ›Audiotaktilen Thermovision‹? War das eine Chiffre, wollte sie ihm
etwas mitteilen? Nicht auszuschließen, daß sie begriffen hatte, daß er ein
Dichter war. Nicht auszuschließen, daß sie Dichter nicht mochte. Niemand mochte
Dichter. Wer wollte schon mit Marcel Proust befreundet sein — auch einer, der
im Bett saß, die Vorhänge den ganzen Tag geschlossen. Eine Kerze, darum ist es
dunkel — das Dichteruniversum. Sie schrieben sich die Zeit zurecht, wie es
ihnen gerade paßte. Erst quoll ihnen Narzißmus aus allen Poren, und dann
bevölkerten sie die Höhlen auch noch mit Gespenstern. Sitzen in Gebärmüttern,
zischte seine Mutter, hüten ihre Empfindungswelten wie einen Schatz.
    Die Gestalten, die einem später in den
Büchern begegneten, sahen tatsächlich überwiegend autistisch aus. Anne Sexton —
auch so ein Ungetüm. Wer wollte schon mit einer Frau Urlaub machen, die ihre
Kinder bei den eigenen Eltern ließ? Beinah konnte er Verna ihre Attacken nicht
verdenken. Dichter schienen Teufel zu sein, die im Hades wohnten, vor allem die
aufdringlichen jungen Lyriker, von denen er gelesen hatte. Zur Zeit eroberten
sie die Welt zwischen Granada und Warschau, Zbigniew Herbert und Jorge Guillen.
In Zügen oder ausrangierten Militärwagen fuhren sie durch die Gegend und
folterten unschuldige Menschen mit Produktionen, die vorwiegend von Drogen,
Internetanschlüssen oder der Leere ihrer Köpfe handelten. Vor ein paar Tagen
hatte sogar hinter Erma Zoffis Poststelle ein Zug angehalten und eine Ladung
wortspeiender junger Leute ausgespuckt. Die Mädchen hatten rote, gekräuselte
Haare über niveauvollen Nasen, und eine trug einen Ring in der Augenbraue.
Fasziniert hatte Alakar sich gefragt, ob es ein Gedicht darüber gab, wie die
Augenbraue beim Durchstechen geblutet hatte. Die Männer schienen allesamt zu
müde, um mehr als ein paar gelangweilte Bewegungen zu machen, schwer lastete
Sauerstoff auf ihren Köpfen, und einer, der die Relikte seiner rasierten Haare
seltsam plattgeschlagen trug, hatte Erma Zoffi ein Autogramm gegeben. Der
Überdruß in seinem Blick schien ihn die letzte Kraft zu kosten.
    Die Menschen hingegen begrüßten es,
wenn endlich ein Zug in ihrer stillen Gegend hielt, aus dessen Fenstern eine
Männerstimme wehte, die »ficken«, »Infrarotmodul«, »Pessar« oder »Windelblues«
sagte. Verständliche Sachen, Dinge so schön wie Lithium-Ionen. Alle hatten sie
geklatscht, als Erma Zoffis Autogrammdichter später, unter den Knupperkirschen,
ein spontan entstandenes Werk vortrug. Alakar erinnerte sich nur an eine
bemerkenswerte Zeile: Ich fragte die Postbotin: Willst du mir einen blasen? Erma Zoffi lachte am lautesten. Falls Alakar jemals eine Million gewänne, würde
er sie in einen lyrischen Militärkonvoi investieren, nach Stalingrad, Dachau
oder anderswo. An einen Ort, wo Supermärkte und verlorene Bäume darauf
warteten, von Nagellack zu hören, süßem Nagellack, Preßspan und
Micro-Channel-Architektur.
    Über seinem Kopf verdichteten sich
Wolken, eine Gewitterwand. Die Zweige der Pfaffenhütchen peitschten seine
Beine, und Alakar betrachtete die Blätter, die der Wind zu einem eigentümlichen
Mosaik vor seinen Füßen zusammentrug. Die jungen Dichter drehten sich ärgerlich
ab, ihre gesammelten Frühwerke wie Lorbeer hinter den Ohren. Die jugendlichen
Übersetzer hingegen standen vor einem Reisezug, Protestplakate und Eier in
Händen, aber T. S. Eliot drückte dem ältesten der Dichter, Alakar Macody,
mitten im Wald einen warmen Kuß auf die Lippen.
    Wir sind die hohlen Männer, rief er fröhlich aus, aufeinandergestützt,
Stroh im Schädel. Ach, unsre dürren Stimmen. Leis und sinnlos wispern sie
miteinander!
     
    Wenn aber die Zeit kommt, in der die
Tische gedeckt sind für den letzten Gast, dachte Verna, werde ich mein Gebet
sprechen. Und dieses Gebet wird von der Hoffnung handeln

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