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Die Endlichkeit des Lichts

Die Endlichkeit des Lichts

Titel: Die Endlichkeit des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Riedel
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Macody. Es war eine Verhöhnung. Sicher hatte er auch einen
Zwillingsbruder gehabt, der vermutlich Izzy hieß, der nicht gestorben war,
sondern eine Scheinidentität angenommen hatte. Er war ein Wald geworden, ein
Gebüsch, ein Gebetbuch, ein Haufen unscheinbarer Pilze, auf der Flucht vor dem
Leben, vor ihr. Für ihren Teil war damit das Gespräch beendet. Aber plötzlich
schien ein unangenehmer Gedanke auf wie die Sonne am Himmel und blendete sie.
Was war, falls Alakar Macody mehr mit der ›Audiotaktilen Thermovision‹ verband,
als ihnen beiden lieb war? An den Namen des verantwortlichen Dichters konnte
sie sich nicht mehr erinnern, und hatte Macody nicht gesagt, er schreibe
selbst? Nein, mit keinem Wort hatte er das erwähnt. Er hatte nur die Pilze
erwähnt. Allerdings blieb ihm auch nichts anderes übrig.
    »Entschuldigen Sie«, sagte Verna,
»falls ich Ihnen zu nahe getreten bin...«
    »Wieso«, sagte er, »Sie sind mir
überhaupt nicht nahe getreten. Wir haben uns doch noch nie gesehen.«
    »Da bin ich aber froh«, sagte Verna,
»und ich befürchtete gerade, Sie hätten ›Audiotaktile Thermovision‹
geschrieben.«
    Am anderen Ende hörte sie ihn tief
seufzen.
    »›Audiotaktile Thermovision‹, Verna«,
sagte er, »stammt von einem Dichter namens Joachim Gunter Hammer, Autor von Der
blaue Kürbis und Noch grünt ein Rauschen. Können Sie sich erklären,
warum die Farbe Grün so beliebt bei Dichtern ist?«
    Wie unangenehm, dachte Verna, ich
beginne wunderlich zu werden.
    »Was weiß ich«, sagte sie schnell,
»vermutlich hat es etwas mit Holz zu tun. Holz, das erste chinesische Element,
Farbe Grün, mentales Symptom Rechthaberei, betroffenes Organ Leber-Gallenblase,
aktives Symptom Schreien, Schimpfen. Es steht für Frühling, Aufbruch,
Initiative.«
    »So«, sagte Alakar Macody, »damit
beschäftigen Sie sich also auch.«
    »Chinesische Medizin«, sagte Verna,
»ich bin Hypochonder.« Sie fragte sich, ob er so gut aussah, wie seine Stimme
klang. »Ich kann mich also auf Sie verlassen? Heute abend? Ich warte auf Sie!«
Das klang zu feierlich, zu bedrängend, und Verna konnte fühlen, wie Alakar
Macody stutzte. »An der Garderobe, meinte ich.«
    »Herrje, soll ich schwören? Was wollen
Sie eigentlich, Verna?«
    Eigentlich nichts, dachte sie, nur ein
paar Sätze, in denen Moorsrosen vorkommen, Süßigkeiten oder Flüstern im
Dunkeln. Dein Kitsch, sagte Izzy, diese ganze dämliche, sakrosankte Bonbonwelt.
Anne Sexton, die Jammerliese. Wenn schon Bonbons, dann leide wenigstens nicht
darunter. Lies doch mal was Vernünftiges.
    »Gar nichts will ich«, sagte sie, »nur,
daß wir uns in der Sendung sehen.«
    »Na«, sagte er, »dann machen Sie’s mal
gut.« Klick-klack, machte das Telefon, als er unvermittelt auflegte.
Nachdenklich betrachtete Verna das Gerät. Das war ein Ausruf gewesen. Keine
Frage.
     
    Der dünne Waldpfad hinter dem Haus schlängelte
sich durch Hartriegel und schwarzen Holunder. Acht Morgen, dachte Alakar,
während er über die gestampfte Erde marschierte, und alles meins. Vormittags,
wenn die Sonne schräg fiel, zersägten Schatten den Weg. Hängebirken, Rotbuchen
und Ebereschen säumten die niedrige Böschung, die er nur grob behauen hatte.
Aus der Ferne sah sein Haus leer und kühl aus, erst pfefferminzgrün, dann
jadegrün, je weiter er sich entfernte. Mit jedem seiner Schritte schien es sich
zusammenzuziehen, bis es nach innen leuchtete. Nur einmal wollte er das sehen —
die farnfarbene Unterwasserwelt in seinem einsamen Wohnzimmer.
    Als er den Bach schon plätschern hörte,
schlug Alakar sich ins Gebüsch, um die Pfaffenhütchen zu begutachten, die er
Jahre zuvor nachts aus dem Garten seines Vaters gestohlen hatte. Besorgt
musterte er die Reste der Trugdolden, weil er befürchtete, daß sie wieder keine
Früchte tragen wollten. Pfaffenhütchen, dozierte sein Vater in seiner
langweiligen Art, Euonymus europaeus. Umgangssprachlich auch Spindelstrauch!
    Alakar war sechs und schon Batman
gewesen, als er fragte: Spindelstrauch? Dann spinnen alle, die das im Garten
haben?
    Lang und länger zog sich Alwin Macodys
Gesicht, ein Zerrspiegel, auf dem Frühjahrslicht blinkte. Antonio, ich muß mich
sehr wundern! Entschuldigung, sagte Batman, obwohl er nicht wußte, wofür. Wohl
aber war ihm im Sinne der Planckschen Konstante klar, was ihn erwartete, falls
er sich nicht entschuldigte. Ein vierzig Zentimeter langer Trieb vom
Spindelstrauch direkt auf seinen Popo. Es war das letzte Jahr gewesen, in

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