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Die Endlichkeit des Lichts

Die Endlichkeit des Lichts

Titel: Die Endlichkeit des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Riedel
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unschuldigen
Abende. In der Dämmerung hatten sie sich wie vorsichtige Mechaniker mit
gegenseitiger Wartung beschäftigt. Zunächst verharrte Antonio noch in
vollkommener Erstarrung auf der Holzbank vor seinem Haus und wagte nicht,
irgend etwas zu tun. Dann bückte er sich immer häufiger, hob ein paar
Bachkiesel auf, immer mehr Bachkiesel, und musterte voller Neugier Doris’
Unterschenkel, deren geschwungene Formen ihn bezauberten. Kretische Vasen,
Amphoren oder Urnen. Sie aber mochte kein Licht, wenn er mit ihr schlief, weil
sie versessen darauf war, seine Prothese zu befühlen, aber nicht hinsehen
konnte. Wasser gurgelte und gluckste an seinem toten Fuß, als es sich einen Weg
durch das gesäuberte Bachbett bahnte. Immer noch war es viel zu warm für Anfang
September, aber der Wind wollte nicht abflauen, und die Eichen rauschten mit
ineinander verflochtenen Kronen. Über den Blättern wartete der Regen. Beinah
halb elf. Wenn er trocken nach Hause kommen wollte, mußte er sich beeilen.
     
    Gott nannte das Licht Tag und die
Finsternis Nacht, da ward aus Abend und Morgen der erste Tag.
    »Ich habe in dem einen Sommer«, sagte
Verna zu ihrer Therapeutin, »Izzy eine Gabel in sein rechtes Auge gestoßen,
erwähnte ich das schon mal? Regen fiel, trotzdem war es Sommer, deshalb wollte
er nach Amerika gehen, in einen Ashram oder einen Harem, das weiß ich nicht
mehr genau. Eventuell machte das ja auch keinen Unterschied, denn sie benutzten
alle Kondome, wie er mir versicherte, was natürlich eine gewisse Beruhigung
war. Außerdem aßen sie makrobiotisch, es war ein makrobiotischer Harem in der
Nähe von Boston. Die Frau des Rädelsführers hatte Krebs, eine peinliche
Angelegenheit, sie hießen beide ähnlich wie Sushi, aber die Frau hatte zuwenig
davon gegessen. Zuwenig Algen, zuwenig Umeboshi, japanische Salzpflaumen,
deshalb auch der Krebs, meinte der Rädelsführer, Nagasaki mit Vornamen oder
Hiroshima. Izzy fabulierte eine Menge, wie gesund das Leben dort sei, auch für
dich, Verna, gerade für dich mit deiner kaputten Leber. Dabei benutzte ich bloß
einen marokkanischen Gesichtspuder, African Wonder, ich war gelb, hatte aber
keine Hepatitis, und mitfahren durfte ich auch nicht. Denn Distanz schafft
bekanntlich Nähe, und bei Regen wird man naß.«
    Regnen, schauern, gießen, pladdern,
prasseln, tröpfeln, strömen, das Feste war flüssig geworden, und Gott nannte
die Feste Himmel, da ward aus Abend und Morgen der andere Tag.
    »Jedenfalls wollte Izzy bei Sushi
Ernährung studieren und später in New York ein Management-Training absolvieren,
Quantum hieß das, ein paar versprengte Nachfolger von EST. Es ging darum, wie
man von sich selbst loskommt oder von anderen, aber ich habe befürchtet, daß es
eine Sekte ist, nur war das gar nicht der Streitpunkt.«
    Mitfühlend schaute Karla sie an. »Ich
lade Sie ein«, sagte sie, »sich endlich zu erleichtern.«
    »Darum ging es ja«, sagte Verna, »um
die Erleichterung. Bei ihrem Quantum-Training, hatte ich gehört, durften sie in
Boston nicht mal zwischendurch zum Klo gehen, wenn sie sich übergeben mußten.
Sie übergaben sich oft, sie mußten die Wahrheit sagen, immer, und dann wurde
ihnen schlecht, und sie mußten brechen. Sie sollten aber in eine Tüte kotzen,
vor allen Leuten, geh durch die Scham, etc. pp. Einer von Izzys Freunden hatte
das erzählt, daß er durch ein Kellerfenster gekrochen war, nur um zur Toilette
zu kommen. Er rannte und hat es gerade noch geschafft, aber Izzy fand Flucht
anstößig, man mußte ja vorher unterschreiben, daß man sich an die Regeln hält.
Entweder Selbsterfahrung, sagte er, oder nicht! Aber ich dachte, daß das
schreckliche Leute wären, und genau das hab ich gesagt, in dem Sommer, als es
dauernd regnete. Als wir mal wieder in seiner aryuvedischen Vereinskantine
saßen und ich Udon-Nudeln essen mußte, obwohl ich viel lieber Ei gegessen
hätte, und Izzy literweise Sake trank.«
    Fließen, rieseln, rinnen, fluten,
rauschen, perlen, tränen. Und Gott nannte das Trockene Erde, und die Sammlung
der Wasser nannte er Meer. Da ward aus Abend und Morgen der dritte Tag.
    »Aber Ei war zu yang oder yin für mich,
ich war ja sowieso zu dick, du speicherst Gefühle, Liebelein, sagte er, du
kannst einfach nicht loslassen, deshalb bist du auch so schwammig. Wobei er
nicht bedachte, daß ich immer Diät hielt und meine Hüftknochen bereits
vorstanden wie die Kreidefelsen von Dover, aber ich habe mich trotzdem
geschämt. Nur als er behauptete, mir

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