Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Endlichkeit des Lichts

Die Endlichkeit des Lichts

Titel: Die Endlichkeit des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Riedel
Vom Netzwerk:
Gott schuf und machte.«
    Karla schüttelte den Kopf.
    »Ihr Therapieraum ist zu leer, Karla.
Meine Wohnung ist auch leer. Überall ist alles groß. Aber das habe ich gern,
ich liebe die Weite. Was wollte ich sagen«, sagte Verna, »ach ja, die
Geschichte mit der Gabel...«
     
    Der Wald öffnete sich, und vor ihm lag
der Fluß, eine gleißende Schlange. Wo er ins Meer mündete, lagen Lachmöwen und
Küstenseeschwalben über dem Dunst auf dem Wind. Mit langen Schritten watete
Alakar am Ufer entlang und blieb erst stehen, als er ein Zittern in der
Magengrube spürte, Hunger, aber es konnte auch schiere Aufregung sein. Im
Fernsehen war Brainonia zu ertragen, nicht aber im Angesicht des
ungeheuren, freien Himmels. Vor dem Haus klapperte sein Werkzeug auf den
Steinen, und Alakar betrachtete einen Moment die einladende Einfahrt. In ihrem
alten glänzenden Mercedes war Doris Knöchel hier vorgefahren wie eine Königin,
an den Wochenenden, die sie sich erkämpft hatte. Ein Akt der
Selbstverherrlichung, sie pinkelte in sein Revier und war weitaus
selbstbewußter, als sie vorgab. Schon ihr Wagen wirkte protzig,
garagengepflegt, das hätte ihn stutzig machen sollen. Sie war von unlyrischem
Wesen.
    In ihrem einzigen Urlaub, auf Ibiza,
hatten sie eine spanische Dichterlesung besucht und waren nachher Gambas essen
gewesen. Nun, sagte Doris, ich liebe fremde Gerichte. Und auch Gedichte hör ich
gern, gerade wenn ich kein Wort davon versteh. Ein Blättchen Rucola klebte ihr
an der Lippe, und erblickte sie mit einem gewissen Bedauern an. Nachdem er
einen peruanischen Musiker verscheucht hatte, der Doris unter
Cuccaracha-Geschrei und Diablo-Rufen anhimmelte, nahm sie Antonios Hand und sah
ihn aus geweiteten Augen an. Paß mal auf, sagte sie, ich kenne auch ein tolles
Gedicht: Sieh da, sieh da, Timotheus, die Kraniche des Ibykus, und schon verdunkelt
sich der Himmel, und über dem Theater hin... So ging es weiter und weiter, bis
er ihre Modulation nicht mehr ertragen konnte und sie mit einem Kuß unterbrach.
Endlich war Schweigen. Aber nicht für lange. Doris liebte es, Geräusche zu
machen, und wenn sie keine machte, rumorte die verstreichende Zeit in ihr.
Angesichts des machtvollen Rufs ihrer Hormone waren beide von Anfang an
wehrlos. Schreie und Weinen, wenn sie unter ihrem Eisprung litt, und falls er
nicht zum biologisch richtigen Zeitpunkt mit ihr schlief, pfefferte sie seine
guten Vasen an die Wand.
    Antonio befürchtete, daß sie allzubald
ein Kind von ihm wollte, auch wenn sie das nicht aussprach. Binnen kurzem
jedoch entdeckte er eine vielversprechende Gegenmaßnahme. Sobald Doris Knöchel
über ihre Ufer trat und ihn mit Gebrüll und verlaufendem Lidstrich heimsuchte,
begann er Gedichte zu rezitieren. Alle Gedichte, die er kannte. Das haßte sie
wie die Pest.
    Er sagte Marie. Marie. Und zutal
ging's. Auf den Bergen wohnt die Freiheit!
    Ich geb dir deine Berge! schrie sie.
    Warum bist du denn so wütend? fragte
Antonio scheinheilig. Wenn sie tobte, sahen Doris’ Brustwarzen unter dem
Seidenhemd wie wild gewordene schwarze Rosinen aus, und nach ihren Auftritten
befand sich seine schöne Küche jedesmal in einem Zustand der Auflösung.
    Du kannst mich mal, rief sie. Gewiß
nicht heute, gab er zurück.
    Danach vergaß Doris Knöchel endgültig
alle Homophilie, wie sie ihre verhängnisvolle Liebe zu den Menschen
nannte, und schlug ihm ein Glas Quittenmarmelade gegen die Augenbraue. Aber es
hatte viele Gedichte gebraucht, bis sie soweit war. Ein nicht diskutierbarer
Hinauswurf folgte, und sie nannte ihn noch am selben Abend am Telefon einen
Sadisten, ein Ausdruck, den sie im Pschyrembel nachgeschlagen hatte. Nach der
Trennung rief sie ihn zuweilen nachts an; es war die Trägheit in ihrer Stimme,
die ihn dazu brachte, nicht sofort aufzulegen. Es kam vor, daß sie wütend wurde
und den Mund ganz nah an den Hörer hielt, und ihre Telefonstimme in seinem Ohr
erinnerte Antonio daran, wie kompromißlos Doris Knöchel sein konnte.
    Als Alakar die Gummistiefel abstreifte,
stellte er sich vor, wie ihr gemeinsames Baby ausgesehen hätte. Ein winziger
Mund wie eine Rosenknospe, flaumiges weizenfarbenes Haar und ein staunender
Gesichtsausdruck. Die Schlüssel in seiner Hosentasche klimperten, und eine
Elster hüpfte aufgescheucht über die Kellertreppe. Er öffnete die Tür. All das
einsame Grün des Hauses zog sich unter Fußleisten und in Bodenritzen zurück, wo
es vor menschlichen Blicken sicher war. In der Diele roch es

Weitere Kostenlose Bücher