Die Endlichkeit des Lichts
würde es auch mal guttun, vor einhundert
Seminarteilnehmern loszulassen, also in eine Tüte zu kotzen, war es mir doch
ein bißchen viel. Ich sage also: Loslassen kann ich schon, und er sagt: Dann
mach’s doch, am besten jetzt vor allen Leuten. Und ich sage: Das würde dir aber
nicht gefallen. Wenn ich machen würde, wonach mir ist, dann würde ich dir die
Gabel hier ins Auge hauen. Die Gabel, sagt er, so, diese Gabel hier? Und nimmt
mir die Gabel aus der Hand, und ein paar Nudeln fallen mir vor die Füße. Und
ich sehe die Nudeln an und er auch, und dann nehme ich mir die Gabel zurück und
frage: Soll ich? Natürlich, sagt er, gern, und ich piekse mit der Gabel ein
paarmal die Luft vor seinem Auge an.«
»Ja«, sagte Karla, »und dann?« y
»Dann? Dann hat Izzy Stern natürlich
gelacht. Er hat gesehen, daß ich es nicht konnte. Wie ich mit meiner dünnen Gabel
vor ihm saß und die Luft zerstach. Das wußte ich, hat er gesagt, das wußte ich
schon vorher, Liebelein. Deshalb habe ich dann auch zugestochen, richtig,
mitten in sein Auge gestochen, aber wahrscheinlich war ich zu ungeübt. Ich habe
ja nie zielen gelernt, oder er war zu schnell, er hatte immer kolossale
Reaktionen. Immerhin, der Stich war heftig, seine Wange hatte einen Abdruck,
einen Gabelabdruck, wie von vier winzigen Zähnen. Als hätte ich ihn ins Gesicht
gebissen, so hat er sich benommen, als hätte ihm eine Kannibalin Stücke aus dem
Gesicht gerissen. Ganz weiß wurde er im Gesicht, ich auch, und dann sagte er,
mach das nicht noch mal, und hat sein Ei weggeschoben. Seine
Shiitake-Pilz-Suppe mit einem rohen Ei darauf, das Dotter hat mich angestarrt,
das schwöre ich. Dann hat er das Lokal verlassen, und ich mußte alles bezahlen
und allein durch den Regen nach Hause laufen.«
Trocknen, dörren, darren, drainieren,
entsumpfen, eingehen, verdorren. Und Gott machte zwei große Lichter, ein
großes, das den Tag regierte, und ein großes, das die Nacht regierte, dazu auch
die Sterne. Da ward aus Abend und Morgen der vierte Tag.
»Trotzdem wollte ich ihn nicht nach
Amerika fahren lassen«, sagte Verna, »natürlich habe ich mich auch ein paarmal
entschuldigt, aber da biß ich gehörig auf Granit. So viel Selbstkontrolle mußte
sein, auch wenn es um Loslassen ging. Eine Weile war er beleidigt, aber dann
kam der letzte Urlaub auf Kreta, Paleochora, kennen Sie das? Positive Energie,
gelebtes Leben und der Pelikan am Hafen, den haben wir mit Fisch gefüttert,
sehr gesund, sagt Sushi, wenn man zufällig ein Pelikan ist. Aber ich kriegte
keinen Fisch, nur feuchten Reiskuchen, womöglich hat trotzdem der
Yin-Yang-Ausgleich nicht geklappt. Denn plötzlich war Izzy verschwunden,
flüchtig wie der Hirsch mit dem goldenen Geweih auf dem Berge Mänelus, und ich
saß da in meinem Faß, als wäre ich der König von Mykene, als er den ungeheuren
Eber sah. Die Geschichte mit dem Zettel. Hallo, Verna — gerade, als ich dachte,
jetzt ist es verziehen. Wer weiß, was sie Izzy bei Sushi erzählt haben, daß er
der Thronerbe ist, der Sushikönig, es hat auf jeden Fall gereicht, um nicht
wiederzukommen. In Boston hat er eine Chinesin kennengelernt, erzählte Manasse,
aber sie hatte eine Nazi-Macke, hat ihn nur noch Hitler genannt,
wahrscheinlich, weil sie durch das Quantum-Training bereits ganz enthemmt war.
Und ich bekam Brainonia.«
»Sie haben also Brainonia bekommen, Verna«, sagte Karla, »war das genug? Was wollten Sie denn wirklich?«
Und Gott sprach, dachte sie, seid
fruchtbar und mehret euch und erfüllet das Wasser im Meer, da ward aus Morgen
und Abend der fünfte Tag.
»Ein Baby«, sagte Verna, »langweilen
Sie mich nicht, ein Titanenbaby wollte ich, das wie Izzy aussieht, nun sagen
Sie’s schon, Karla: Wir bekommen nicht immer alles, was wir wollen, das weiß
ich übrigens auch. Das müssen Sie mir nicht erzählen, und was hätt ich auch mit
einem Baby anfangen sollen? Ich hätte doch nur postnatale Depressionen bekommen
und das Baby vom Balkon geworfen oder ihm Gabeln in die Pupillen gestochen, nur
um es Izzy zu beweisen. Nein, Brainonia war schon besser, Brainonia hat mich zu mir gemacht. Brainonia war nicht schlecht, ein Tausch, aber
ein guter.«
Und Gott sah an alles, was er gemacht
hatte, und siehe da, es war sehr gut, da ward aus Abend und Morgen der sechste
Tag.
»Verna«, sagte Karla, »hallo, sind Sie
noch da?«
»Und Gott segnete den siebenten Tag«,
sagte Verna, »und heiligte ihn, darum er an demselben geruht hatte von all
seinen Werken, die
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