Die Endlichkeit des Lichts
den einen
oder anderen Mitarbeiter verlassen zu können.«
»Ja, nicht wahr?« sagte Manasse, ein
Wortrinnsal, gegen widerstandsfähigen, wasserabweisenden Stoff gesprochen.
»Verna«, sagte Kavo, »wie du weißt, bin
ich dein Freund. Ein guter Freund, wie mir scheint. Gute Freunde sind aber
schlechte Chefs. Also bist du die Chefin, weil du Brainonia bist.
Trotzdem gehe ich davon aus, daß du die Sache im Griff behältst. Auch
finanziell!«
»Aber sicher«, sagte Manasse und nickte
ihr grinsend zu. Ihre Zähne fühlten sich an, als beiße sie auf ein kaltes
Bügeleisen. Die Schwierigkeit, sagte Anne Sexton, war nicht in der
Küche oder den Tulpen, sondern nur in meinem Kopf, meinem Kopf. Soviel zum
Vorteil, nicht Anne Sexton zu sein, keine Gedichte zu schreiben, außer dem
einen, schlechten. Das nur zum Vorteil, den Roman als Form im Griff zu haben,
nicht aber die Geschichte zum Erzählen. Wenn ich die Geschichte habe, kann ich Brainonia aufgeben. Wenn ich Brainonia aufgebe, kann ich Tulpen pflanzen. Wenn ich
Tulpen pflanze, werde ich wahnsinnig. Das könnte eine Erleichterung sein. Eine
Erleichterung für alle Beteiligten.
Alakar Macody glitt auf Schneeschuhen
durch die sommerliche Stadt. Gefühl ist Wahrheit, dachte er und betrachtete
seine Zehen, die sich nackt und kalt in den Sandalen bewegten. Er war wie Ole
Christensen Rømer. Zwar hatte der Däne nicht seine Füße, sondern die
Jupitermonde beobachtet, aber am Ende bewies er die endliche Geschwindigkeit
des Lichts. Zuerst war Ahnung, dann inneres Wissen, und der Glauben an das
Wissen hatte schließlich zum Beweis geführt. Auch Alakar wäre nicht sonderlich
erstaunt gewesen, wenn seine Sandalen sich plötzlich in Schneeschuhe verwandelt
hätten. Sie fühlten sich wie Schneeschuhe an, wer wollte belegen, daß es keine
waren?
Auf glatten Sohlen schlitterte er
zwischen den Häusern entlang, und er spürte den Irrsinn warten. Die schwarze
Mauer der schwarzen Männer richtete sich auf, eine unüberwindliche Mauer, an
der sich schon andere den Kopf eingerannt hatten. Sein Schatten lief ihm
voraus, getrieben vom Heimweh nach den Salamandern, die sich vor ihm versteckten,
nach den herzförmigen Pupillen der Gelbbauchunke und ihren einsamen Rufen.
Batman war Zeuge gewesen, wie seine
Eltern vor einer erneuten Kinderfreizeit das Problem Heimweh erörterten.
Antonio, sagte seine Mutter, neigt leider zum melodramatischen Verharren in der
Erinnerung. Von mir hat er das aber nicht, sagte Alwin. Ich nehme an, sagte
sie, daß es ein unbedeutender Bindungsfehler ist, ein noch nicht
internalisiertes, inneres Objekt. Unter Birnbäumen spielte Batman mit
Legosteinen und bedeckte seine Kunstwerke mit Sand, durchaus nicht bindungslos
genug, als daß er nicht verstanden hätte, wer das innere Objekt war, von dem
seine Mutter sprach. Mit ziemlicher Sicherheit sie selbst. Aber er bezweifelte,
daß sie sich dafür schämte. Es war nicht ihr Problem, und falls doch, war das
Problem an sich die Herausforderung. Antonio war das Problem. Antonio war die
Herausforderung. Schuld ist kein Problem, Schuld ist ein Mythos aus
barbarischen Kulturen.
Stets war seine Mutter eine große
Lösung gewesen, die der Formel, seinem Vater, assistierte. Beide bestanden sie
aus Konstanten und den paar lächerlichen Unbekannten, die aus Konstanten
berechnet wurden. C. G. Jung hatte keine Probleme gehabt, sondern Phantasie,
das hatte ihn den Kopf gekostet. Also hatte seine Mutter sich Freuds gefälligen
Assoziationsexperimenten zugewandt. Ich bin der Sohn, dachte Alakar, eines
lebendigen Rechenschiebers und seiner Frau, die der Schöpfer als statistisches
Manual zu den Menschen geschickt hat. Alwin, sprach der Engel, sei nicht
traurig, dir wird ein Sohn geboren, den sollst du Antonio nennen. Das bedeutet:
Der Herr hat dich gestraft.
Wenn aber die Engel kommen, werden die
Kinder getötet — als Batman seiner Mutter diese biblische Interpretation
vorlegte, erteilte sie ihm Leseverbot. Antonio, sagte sie, zweifellos bist du
hoch begabt, aber fang bloß nicht an, dir darauf etwas einzubilden. Batman
schüttelte den Kopf und stellte sich vor, Vögel aus Regenrinnen zu retten.
Einbildung war die Wurzel aller Macken, und leider empfand sich seine Mutter
als Landschaftsgärtnerin, die Wurzeln wie Zähne zog. Manchmal glühten ihre
Augen wie Kohle, wenn sie redete, und Batman zu ihren Füßen löste sich im
Rauschen ihrer langen Sätze auf. Er war etwas Kleines, einer großen Jungfrau
von Gott gesandt, um
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