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Die Endlichkeit des Lichts

Die Endlichkeit des Lichts

Titel: Die Endlichkeit des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Riedel
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Querformat gewesen, und Verna hatte in
Wirklichkeit Alice angesehen, die ihrerseits mit einer Mischung aus Bewunderung
und Hörigkeit zum mütterlichen Monster aufblickte.
    Nach dem Unfall griff ihre Mutter zur
Schere, zack, und schnitt Alice einfach ab, wodurch Vernas Gesichtsausdruck,
ins Nichts gerichtet, erstaunlich debil wirkte. Seit Brainonia verstrich
kein Tag, an dem nicht die krause, beleidigte Kindermimik mit den makellosen
Zügen der Verna aus dem Fernsehen verglichen wurde. Nach Izzy Sterns Tod hatte
sie sich an Millionen verschenkt, an fremde Leute, obwohl sie wußte, was
das für eine Mutter bedeutete. Trotzdem wurde der Streit letztendlich
beigelegt. Liebling, sagte jemand, ich denke, der Grund unseres Zerwürfnisses
hat sich erledigt. Den Gesetzen der Natur zum Opfer gefallen.
    Es hat bestimmt nichts mit Ihrem Erfolg
zu tun, meine Liebe, versicherte Karla, als Verna weinend in der Praxis
erschien. Was ist schon Erfolg, und so erfolgreich sind Sie auch nicht.
Trotzdem heulte Verna weiter, vom Verdacht zerrüttet, für ihre Mutter sei ein
Fernseher wichtiger als die Vergangenheit. Was fühlen Sie, sagte Karla, was
sehen Sie? Wie alt sind Sie dabei? Zumindest schemenhaft erinnerte Verna sich
nun wieder an das holländische Foto. Ihre Mutter, die Hand in einem
affektierten Winkel unters Kinn gelegt, Augen seitwärts, glänzend. Alice und
sie trugen dieselben Wasserfallkleider. Alice und sie waren hübsch. Bis Alice
nicht mehr hübsch war, sondern mausetot, und der andere Zwilling sich in eine
kalte Höhle verwandelte. Karla konnte sagen, was sie wollte, es war
offensichtlich, welchen Anteil das Verna-Wesen an der Aussöhnung gehabt hatte.
Noch immer trug sie in der Öffentlichkeit gern Grün. Aber sie mochte mit ihrer
Mutter nicht reden. Verdorbenheit. Eine Empfindung, die sie seit ihrer Kindheit
kannte. Ausgekostet.
    Bis zur Neige, sagte Manasse, als sie
in der bewußten Nacht auf seiner Bettkante saß, neben sich die abgenutzten
Filzpuschen, die er zur Schonung des Parketts trug. Seine Mutter hatte sie ihm
genäht, offenbar in einem Anfall von Betrunkenheit, und während Verna
versuchte, mit Manasse zu schlafen, sahen sie die roten Bommeln anklagend an.
Statt Manasse zu fragen, was er mit den Pantoffeln in seinem Bett machte, hatte
sie heimlich geweint. Nur wegen ein paar gehäkelter Bommeln. Trotzdem bemühte
sie sich, es leidenschaftlich und ungezähmt mit ihm zu tun. Aber am Ende war
der Sex so leidenschaftlich und ungezähmt gewesen, wie man es vom Geschlechtsverkehr
mit einem Gummibaum erwarten konnte.
    »Kommt heute dein Pilzsammler?« rief
Annett über die Schulter zurück. »Ja«, sagte Verna, »ich glaube... ich hoffe,
ja«.
     
    Die Sonne stand immer noch hoch, ein
weichgekochtes, glänzendes Ei am Himmel, als Alakar Macody aus dem Tor der
Reederei trat. In viel zu hohem Tempo fuhren Autos vorbei, er lief im Zickzack
zwischen ihnen hindurch, als rase er in einer Kugel aus Licht, die über
staubigen Geräuschen schwebte. Seine Lippen schmeckten salzig nach dem nahen Meer.
    Auf dem champagnerfarbenen Sofa der
Pension liegend, schaltete er den Fernseher ein. Schneetreiben auf allen
Programmen, kein Kanal justiert, nichts funktionierte seit seinem Auftritt in
der Show, sondern die Welt kam ihm voller Widerstand entgegen. Unter bestimmten
Voraussetzungen, behauptete sein Vater, fällt die Temperatur unter den
kritischen Wert, ohne daß die Symmetrie zwischen den Kräften bricht. Und was
bedeutet das, Antonio?
    Daß Wasser unter null Grad manchmal
nicht zu Eis wird, sagte Batman fügsam. Er ist doch hochbegabt, sagte seine
Mutter.
    Jaja, sagte Alwin, angewidert von der
mangelnden Intelligenz seines Sprosses, ich meinte aber, was bedeutet es
weitergehend? Weiß ich nicht, sagte Batman. Es bedeutet, sagte Alwin, daß du
mehr Energie hast, je weniger du dich brechen läßt. Wie das Universum. Und das
hat zur Folge, daß du durch die Abstoßungswirkung der kosmologischen Konstante
sogar mit ständig wachsender Geschwindigkeit expandierst. Wie Batman, sagte
Batman. Sein Vater sah ihn zum ersten Mal richtig an. Wie Batman, wiederholte
er erstaunt. Die Bereitschaft, sämtliche Ansichten über Antonio zu revidieren,
flammte in seinem Blick auf, dann jedoch erlosch das Neue, das Batman in seinen
Augen gesehen hatte. Aber das verstehst du natürlich wieder nicht, Antonio,
hieß es. Du bist ja erst sechs Jahre alt, und es ist entwicklungspsychologisch
verquer zu erwarten, daß ein Sechsjähriger einen

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