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Die Endlichkeit des Lichts

Die Endlichkeit des Lichts

Titel: Die Endlichkeit des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Riedel
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lachenden Munds. Weiter kam er
nicht. Wenn wir uns mitten im Leben meinen, zitierte seine Mutter
träumerisch, wagt er zu weinen... , sie sah ihm direkt zwischen die
Augen. Ein Schuß. Peng. Mitten in uns. Mit offenem Mund blickte er zu
ihr auf. Wie ein blödes Schaf saß er da, so passiv, daß er sich dafür schämte.
Kein Wunder, daß sie nicht bereit war, ihm auch nur die harmloseste Möglichkeit
zum Pubertieren anzubieten. Das sollten andere tun. Beißende, unanalysierte
Jungs. Sich aufführen, boxen, treten, Zähne wie Harpunen in Mütter schlagen.
    Im Imbiß neben der Telefonzelle stand
Alakar zwischen zwei indischen Frauen in zerschlissenen Saris an. Sie trugen
stumpfe, klöppellose Glöckchenketten um die Fußknöchel. Es roch nach galmigem
Fett und Erdnüssen, und als er an der Reihe war, bestellte er ein Falafel.
Bereits der erste Bissen Kichererbsenbrei wurde in seinem Mund immer größer und
drohte ihn zu ersticken. Eilig floh er auf die Straße und zielte nach dem Papierkorb,
aber die Öffnung war zu klein. Als er sie verfehlte, klatschte das Brötchen auf
die Straße, und Spritzer der weißen Sauce bedeckten wie Flocken seine Sandalen.
Erstaunt betrachtete Alakar Macody die Schneeschuhe, die Gott und der Zufall
ihm unverdient geschenkt hatten.
     
    »Ich bin ein Haus«, sagte Verna am
Telefon zu ihrer Therapeutin, »ich bin eine Pflanze, ich bin eine Frage.«
    »Was«, sagte Karla, »was meinen Sie
genau?«
    »Ich bin keine Antwort, ich bin eine
Dichterin.«
    »Warum schreiben Sie dann nicht?«
    »Ich schreibe heimlich«, sagte Verna,
»ich schreibe da, wo geschrieben wird, ich schreibe in meinem Kopf. Ich bin
eine Vorbedingung, ich bin eine Innenausstattung, eine Dilettantin, eine
Annahme, eine Doppelstrategie, die man auch Schere nennen kann. Ich schneide
Menschen aus der Welt und sage sie in meinem Kopf auf.«
    »Verna«, sagte Karla am Telefon, »ist
Ihnen noch ganz wohl?«
    »Mir ist sehr wohl«, sagte Verna, »aber
Ihnen wird mulmig.«
    Karla verstummte.
    »Ich säge Menschen aus der Welt, weil
ich eine gute Schere bin. Izzy Stern hat die Leute nur angeschnitten. Er hat es
gut gemeint. Aber ich liebe die Menschen nicht, die es gut mit mir meinen.
Hören Sie mir zu?«
    »Natürlich, meine Liebe, dafür werde
ich bezahlt.«
    »Ich liebe keine Menschen«, sagte
Verna, »ich liebe eine Dichterin. Haben Sie jemals so einen Blödsinn gehört?«
    »Nein«, sagte Karla, »aber es ist Ihre
Wahrnehmung. Auf welche Weise lieben Sie genau diese Dichterin. Und was ist es
für eine Dichterin, die Sie lieben?«
    »Sie müssen sich schon entscheiden«,
sagte Verna, »zwei Fragen auf einmal, das ist zuviel.«
    »Die erste, nun gut, beantworten Sie
die erste.«
    »So wie die Tür ihre Angel liebt, liebe
ich meine Dichterin. Unbewußt vermutlich. Das Zimmer ist so kalt vom Regen, hat sie geschrieben.«
    »So«, sagte Karla, »und was bedeutet
Regen für Sie?«
    »Regen«, sagte Verna, »bedeutet Regen.
Und Zimmer bedeutet Zimmer.«
    »So«, sagte Karla, »und was bedeutet
die Kombination?«
    »Es war ein Gedicht«, sagte Verna, »von
einer Frau für eine Frau.«
    »Verna!« sagte Karla.
    »Ich weiß, was du denkst«, sagte Verna,
»aber du täuschst dich.«
    »Mir wäre lieb«, sagte Karla, »wenn Sie
mich weiter Sie nennen könnten. Sie und Karla. Wir brauchen diesen Raum.«
    »Was bedeutet Raum für Sie, Karla?«
    »Raum bedeutet, nun, warten Sie, die
Freiheit, mich selbst entfalten zu können, das Wachsen, die...«
    »Blume«, sagte Verna, »genau. Das hat
sie auch geschrieben.«
    »Gibt es etwas«, fragte Karla, »was Sie
bisher nicht erwähnt haben? Ich meine, gibt es etwas in Ihnen, was Sie zu
denken verweigern? Etwas, das Sie möglicherweise verlegen macht? Verna, was
bedeutet Blume für Sie?«
    »Sie sind eine Leuteschinderin«, sagte
Verna, »Sie haben nicht den geringsten Funken Poesie. Blume bedeutet Blume. Ich
bin ein Fall gewesen, ich bin ein Abend gewesen, ich habe mich für Berge
interessiert. Ich habe gewußt, daß Kiribati 728 Quadratkilometer hat, die
Hauptstadt heißt Bairiki und die Sprache wie der Ort, Kiribati. Da leben
Mikronesier, Polynesier und Chinesen. Wenn Ihr Problem die Poesie ist, ist
meins, daß ich niemals dort war. Ich habe keinen Polynesier und keinen
Mikronesier gesehen. Aber ich sehe mich jeden Tag im Fernsehen.«
    »Verna«, sagte Karla, »was bedeutet
Sehen für Sie?«
    »Ich sehe mich an«, sagte Verna, »ich
sehe Sie an, und ich sehe einen Unterschied. Weil ich aber

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