Die Endlichkeit des Lichts
seines
gewaltigen Schnurrbarts wuchs, als besonderes Merkmal in seinem Paß eingetragen
war. Es herrschte eine unbehagliche Stimmung. Verna hatte ein Steakmesser
geordert und zerlegte ihre Pizza Diabolo mit Bewegungen, schärfer als die
Klinge. Ihr Mund war wie ein Dolch verzogen. Der Produktionsleiter ordnete
Faxe, die nach der Sendung meterweise eingelaufen waren.
»Hört euch das an«, sagte er
begeistert: »Steinigt die Dicke, Bahn frei für die Wahrheit!« Neben
Lobhudeleien über Alakars Zivilcourage gab es allerdings auch
Zuschauerproteste, die sich auf Vera Alberts, wenn man so wollte, Brüste
bezogen. »Hier! Ein Schönheitschirurg, der ihr eine kostenlose Korrektur
anbietet«, rief Manasse, aber keiner beachtete ihn. Verna war ein dünnes,
verlorenes Blatt aus einem Notizbuch, und Alakar aß wortlos eine schwarze Olive
nach der anderen. Der behutsame Duft in seiner Nase ging von Vernas
Limonenkleid aus, oder war es eine olfaktorische Sensation? Am Ende war Brainonia zu einer großen Verwicklung geworden, und die Ereignisse bestätigten ihn in der
Annahme, daß er seit seiner Kündigung nicht mehr gesellschaftsfähig war. Das
Hindernis hieß zeitlebens Antonio, ein zorniger Antonio, den die Frage nicht
losließ, ob Verna mit dem hübschen Kameramann in der Lederjacke geschlafen
hatte. Eine tröstliche Berührung am Schluß der Sendung, seine Hand auf ihrem
Unterarm, intim, verboten und demonstrativ. Antonio, der angewurzelt dastand,
hörte, wie der Kameramann Vernas Namen sagte, als befänden sie sich auf der
Sturmhöhe. Da unten steht Heathcliff mit 'ner Frau, dort unter dem Busch,
und ich trau mich nicht vorbei. Brontë hatte er immer gehaßt, weil danach
alles gesagt und die Liebe unmodern geworden war. An den Kameramann gedrängt,
hatte Verna ihm in die Augen geschaut, aber Alakar drehte sich sofort weg. Nun
saß sie dicht an dicht neben Manasse. Neben Manasse. Nein, dachte
Alakar. Doch, antwortete Antonio, nicht zum ersten Mal hätten sich erotische
Qualitäten hinter einer unscheinbaren Säufermaske verborgen — und erinnerten
die Züge des Produktionsleiters bei genauer Betrachtung nicht sogar entfernt an
die feiste Fröhlichkeit des Marquis de Sade? Nicht ums Verrecken, beruhigte
sich Alakar, nicht eine Frau wie Verna Albrecht, deren Zauber sich um eine
gerade Nase versammelt, nicht mit einem Mann, dessen Atem lau nach getrockneten
Tomaten riecht. Gerade die klassischen Nasen aber..., wandte Antonio ein.
Jedesmal wenn Alakar Verna ansah,
schämte er sich für die Peinlichkeit seines Auftritts. Aus Verlegenheit kostete
er Manasses Tomaten, die nach allen Schäden der Zivilisation schmeckten, nach
falschen Genen, Rollerblade-Fahrern, Reagenzglasbabys oder Aids in Afrika. Als
Manasse sich gesättigt zurücklehnte, beugte Verna sich plötzlich vor. Ein
Ballett, dachte Alakar, das schöne, tote Gleichmaß der Welt, das Verherrlichung
verdient. Ihm wurde klar, daß er als jammernder Trinker an einem Strand in
Thailand enden würde, wenn er so weitermachte, eine Flasche mit grünem Absinth
in der Hand.
»So etwas«, sagte Verna unvermittelt,
»habe ich noch nie erlebt. Und ich frage mich, was Sie sich dabei eigentlich
gedacht haben, Alakar!«
»Wieso«, sagte Manasse, »ist doch
wunderbar gelaufen! Alakar war großartig. Die fette Kuh war nicht so großartig.
Und du warst am großartigsten, mein Schatz!«
»Wenn du nichts zu sagen hast, dann sag
nichts, und falls doch, dann halt auch besser den Mund!« Endlich bahnte sich
das Böse seinen Weg durch Vernas halb geschlossene Lider und legte sich über
ihr Gesicht wie eine Schlafmaske. Alakars Fingerspitzen zuckten, denn jemand
spielte in seinen Gedanken Klavier.
»Was also, Alakar?« Es gab nichts, was
ihm dazu einfiel.
»James Joyce«, höhnte Verna, »three
quarks for Muster Mark! Was sind Sie denn, Alakar, ein Profilneurotiker, ein
Spielverderber oder ein kompletter Blödmann? Ich kann das alles einfach nicht
glauben!«
»Schreien Sie mich nicht an«, hörte
Alakar sich antworten, »Sie haben keinerlei Grund, mich anzuschreien.«
»Es ist mit ihm durchgegangen«, warf
Manasse kauend ein, »manchmal passiert das. Manchmal entselbsten Menschen sich
eben. Besonders wenn sie Männer sind. Das sagst du doch auch immer, Verna. Ist
dir denn nie so was unterlaufen?«
»Nein«, sagte Verna, »niemals! Ich habe
keine Neigung dazu, peinlich zu werden. Ich habe eine Neigung dazu, mich im
Griff zu haben. Peinlichkeit finde ich unerträglich.«
»Aber die
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