Die Endlichkeit des Lichts
Frau hat sich doch
getäuscht«, sagte Manasse, »und du warst einfach nicht schnell genug,
Schätzchen.«
»Oh!« Vernas Stimme stieg auf, und
Alakar wußte, daß sie sich im nächsten Moment in Doris verwandeln würde, die
ihre Nylonstrümpfe zerriß, Fotos von Schlafzimmerwänden holte und die Tube
Toleriane Soin Protecteur Apaisant, die er ihr ins Badezimmer zu stellen
erlaubt hatte, über den Fliesen ausquetschte, wo sie Schlingen einer dicken
weißen Creme hinterließ. Die Schrift an der Wand. Gewogen und zu leicht
befunden. Manasses Lippen zuckten wie Stichlinge.
»Eine grandiose Sendung, Schätzchen,
alles in allem!« sagte er und drückte mit beiden Händen sein bißchen Haar aus
der Stirn.
»Verschwinde!« zischte Verna plötzlich.
Der Kellner, der am Nebentisch eine Tarte flambierte, drehte sich um. Es roch
nach Weihnachten und Tankstelle, und blaue Flämmchen hüpften über den Kuchen.
»Hau ab!« Der Kellner räusperte sich, die Flammen erloschen, auch Manasse
räusperte sich, es roch jetzt nur noch nach Benzin.
»Ver-schwin-de!« wiederholte Verna und
schlug mit der Serviette nach Manasses Augen, den Augen eines sehr alten
Hundes. Zögernd bückte er sich nach seiner Aktentasche und klappte sie zu.
»Na wirst du wohl!« sagte Verna.
»Gute Nacht, Schätzchen«, sagte Manasse
höflich, »gute Nacht auch, Alakar, es war mir wirklich ein Vergnügen.«
Der faulige Geschmack von Eiern brannte
an Alakars Gaumen. An den Wangen schälte sich Vernas Make-up, ihre Schläfen
aber waren verschwitzt und dunkel.
»Brandig, brandig, brandig «, sagte Alakar, als Manasse zur Tür
schlurfte, unter rotem Samt ,»aber du, Herr, reißt mich heraus ]«
Er war ein Verrückter, sie war allen
Ernstes an einen Verrückten geraten, an einen gutaussehenden Verrückten zwar,
aber das änderte nichts daran, daß ihm der Wahn in gewissen Momenten in den
Augen stand wie anderen Leuten Tränen. Als Alakar Macody der Kandidatin zum
ersten Mal ins Wort fiel, hatte sie es gemerkt und dann, als er ihr selbst
immer wieder ins Wort gefallen war. Solange, bis sein Wort aus allen vier
Winden über sie kam und sich Brainonia untertan machte. Das war, als
Vera Albert von der Versenkung geschluckt wurde, aus der sie sich für einen Tag
erhoben hatte. Am Schluß der Show strahlte das Ekzem wie ein phänomenales
Feuer, fraß Gesichter auf, nicht nur ihr eigenes, auch die des Publikums.
Pfeifen, sagte jemand, wenn Rom brennt,
Kavo, der Vera Albert persönlich abführte. Mit dünnen Fingern tätschelte er
diesen erschütternden Witwenbuckel. Hingegeben klatschte das Publikum noch bei
ausgeschalteten Kameras, klatschte einfach weiter, als wäre die Show nicht
vorbei, und Kavo warf Verna seinen speziellen Blick zu, Abscheu und
Feindschaft. Watschelnd bewegte sich Vera Albert an seiner Hand auf den Ausgang
zu, die Hand kletterte an ihr herauf, den Arm entlang und kam schließlich auf
der Schulter zur Ruhe, die Finger eisern in das Fett des Witwenbuckels
verkrallt. Solche Blicke. Versprechungen.
»Weg ist er«, sagte Verna zu Alakar,
der die Tür fixierte, wo unter Troddeln und Bourbonenlilien eben noch Manasse
gestanden hatte. Natürlich würde es eine Besprechung bei Kavo geben, sie aber
würde die unangenehme Besprechung überstehen, wie sie die paar Minuten
überstand, die ihr mit Alakar Macody blieben. Eigentlich schien er harmlos wie
Fredo, er trug sogar die richtige Kameramann-Lederjacke, teuer und
verschlissen. Wahrscheinlich stammten die vielen Kratzer von den geifernden
Spitzen der Büsche in seinem Wald. Aus dem Kragen sah er sie still an, und sie
wurde mutig, als vervollständigte sein Blick ein Mosaik, das lange in ihr
verschüttet war. Keine Ahnung, seit wann sie die Abendessen mit den
Spitzenkandidaten derart haßte, Veranstaltungen, armselig wie die Reisernte auf
den südchinesischen Feldern, auch wenn Tele-Fun sie gut dafür bezahlte.
Kandidaten, Kandidaten, sie konnte keinen Kandidaten mehr sehen. Obwohl sie
kamen und wieder gingen, nach Lasagne und Badewannen voller Alkohol. Der hier
aber war der Kandidatenorgasmus mit seinem exzentrischen Namen. Schaurig, wie
er brandig, brandig, brandig sagte und was das in ihr auslöste.
Meine Verna, sagte ihre Mutter zu der
Lehrerin im Waldorfkindergarten, ist ein ungewöhnlich empfindsames Kind.
Manchmal vielleicht etwas überkandidelt, aber, schauen Sie, dieses
Klorollenigelchen hat sie ganz alleine gebastelt! Meine Alice saß daneben und
sagte Schmetterlingsnamen auf. Meine
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