Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Endlichkeit des Lichts

Die Endlichkeit des Lichts

Titel: Die Endlichkeit des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Riedel
Vom Netzwerk:
Darüber hätte Anne
Sexton ein Gedicht geschrieben, weil sich vieles durch Gedichte relativieren
ließ. Wehrpässe wären darin vorgekommen, Landesprodukte oder schwarzäugige
Rivalinnen. Wenn Izzy sie ausnahmsweise wollte, wenn niemand anderer da
war, den man wollen konnte, spürte sie seinen Schwanz nicht mal in sich. Es
wunderte sie immer noch, wie sehr sie in all den Jahren nach ihm verlangte.
    Lieber Himmel, am nächsten Morgen hatte
sie sich abgearbeitet an dem Gedicht, aber immer wieder verdrängte das Gespenst
des Löwenmannes ihre Sätze. Er war so präsent, daß ihre Worte einen Kniefall
machten. Manche sind Fischer, sagte Izzy, manche sind Händler, manche sind
Bauern, manche sind Dichter, und glitt in Akarna-Dahanurasana, das Bogenohr.
Sein linkes Bein hielt er am Zeh gepackt, als würde er auf ihre Stirn zielen.
Ein guter Mensch bist du, Verna, mein Zuckerstück. Dann wandte er sich ab,
stand auf und füllte Bogen um Bogen mit einem Kalligraphie-Füller in seiner
antrainierten hochlagigen Schrift. Er war der Dichter, und er machte auch
Musik, kompensierte mit Blasinstrumenten die Defizite seines Genitals. Mozart,
tiefe, klagende Töne, das Adagio aus dem Klarinettenkonzert. Immer stand Verna
in der Küche, sonnengeblendet, sie schnitt Paprika und Gurken, leckte den
durchsichtigen Saft von ihren Fingern, hörte ihn spielen und weinte dabei.
    Wieder fuhr ein Auto vorüber, ein
Geräusch wie eine physische Berührung. Dann war die Nacht totenstill, bis sie
im Lokal einzuräumen begannen. Stühle schleiften über den Boden, und
schließlich legte jemand E Lucean Le Stelle auf. Wie ein gähnender Mund starrte
die Tiefgarage, und Verna fragte sich, wo Alakar Macody blieb. Als er sich
seinen letzten Altavilla über Hemd und Hose kippte, hätte sie schwören können,
daß er es mit Absicht tat. Mit Salz und Essigflaschen umschwärmten ihn die
Kellner, aber er hob immer nur die Hände, nicht abwehrend, sondern so, als
ergebe er sich. Was für ein Gedicht war es gewesen, das er ihr mitgebracht
hatte? Wahrscheinlich Rilke, es hätte zu Nabokov gepaßt. Dieser Typ fiel auf
die eigenen Assoziationen am liebsten herein. Sobald sich Metaphern
verschlangen, würde Alakar aufblühen. Sobald nur ein winziges Tabu gebrochen
wurde. Vielleicht sollte sie probehalber Mondstein sagen, wenn er käme, Wunderhorn oder Mittwochsgesellschaft. Reizwörter, die im Dunkeln
fluoreszierten.
    Als er endlich vorfuhr, lagen ihm
Schatten auf Stirn und Wangen, als hätte jemand vergessen, den schwachen
Abglanz der Beleuchtung wegzuwischen. Wortlos stieg sie ein, torkelte, und
plötzlich erinnerte sie sich an den ersten Schock, wenn ein fremder Mann sie
berührte. Sie mochte Alakars Gesicht, denn wenn er lächelte, klappte es auf wie
eine große Blume. Alles ist gut, dachte sie, sch-sch, schlaf gut, Izzy, träum
schön, mein Lieber. Zweimal klickte der Zündschlüssel, dann drehte der Motor,
und Alakar fuhr an, sachlich, wie er redete, wenn er nicht gerade von Pilzen
sprach.
    »Fahren Sie gut«, fragte Verna, »ich
meine, mit diesem... ähm... Bein?« Ihre Zunge schepperte unter dem
unanständigen Satz, aber Alakar blickte nur weiter auf die Fahrbahn.
    »Ich habe geübt«, sagte er.
    Gern hätte sie gewußt, ob er seine
Prothese im Bett ablegte und wohin sie schauen würde, wenn er es tat. Ob sie
den Anblick ertragen konnte, Drähte und Leder und Plastik. Zuerst würde sie die
Vorhänge zuziehen, und falls er danach im Bett so tat, als ob nichts wäre,
würde sie einfach dasselbe tun.
    »Es ist ja auch ein Automatik-Wagen«,
sagte Verna, und eins ihrer eigenen Beine schmerzte, als er eine Schwelle
überfuhr. Thrombose vermutlich, ganz unten am Gelenk. Taubheit breitete sich in
der Wade aus, und Angst überflutete Verna, als wäre ein Staudamm gebrochen.
Lungenembolie. Schnitt. Alakar bremste für einen betrunkenen Vespafahrer. Verna
sah die unscharfe Gestalt sich ducken. Ein paar Sterne schienen zu dicht über
der Ausfallstraße zu kleben, die in die ruhigeren Viertel führte, nach Hause.
In einer ähnlichen Gegend hatten sie und Alice und Mutter gewohnt, bevor die
Sache passierte, Zuckerbäckerhäuser und dieser riesige Himmel, aufgerissen
wie eine Wunde. Mit der Zunge fuhr Verna über die Stelle im Inneren ihrer Oberlippe,
die sich seit Tagen wie betäubt anfühlte. Mein Körper gehört den Toten.
Neidisch betrachtete sie die Mühelosigkeit, mit der Alakars Versehrte Glieder
funktionierten. Er atmete leicht wie ein Schmetterling.
    »Haben

Weitere Kostenlose Bücher