Die Endlichkeit des Lichts
wegen. Wenigstens
würde sie schreiben können, wenn sie Brainonia hinter sich ließ,
schreiben und zweimal in der Woche Karla aufsuchen. Aus der Formlosigkeit würde
sie die Form gebären, ein ganzer Mensch sein, der schrieb, bis er umfiel.
Den Nachmittag über trank sie Kannen
voller Tee, und als sie keinen Tee mehr trinken konnte, ging sie zu der
Bäckerei, wo sie sich früher mit Izzy getroffen hatte. Zwischen Bagels, Lachs
und pikanten Frischkäseaufstrichen strich er ihr über die Wangen. Exakt deine
Gesichtsfarbe, Süße! sagte er und zeigte auf ein Töpfchen Curryrahm. Die
hübsche Japanerin, die ihn beobachtete, schnappte nach Luft, mit diesem
dümmlichen Mund, einem Goldfisch, aber er streichelte Vernas Po, während er mit
dem Mädchen flirtete. Nur ein Scherz, sagte er zärtlich, aber wirklich,
ungesund sieht sie manchmal aus!
Mit der Japanerin hatte er geflirtet,
aber Verna hatte ihn gewollt, gehabt, geliebt. Zwischen ein paar Sträuchern
neben dem Parkplatz, über die später, in alle Ewigkeit, eine Formation Reiher
flog. Sie sah den großen Vögeln am Abendhimmel hinterher, grellroten Wolken,
Schattenrissen, und Izzy grinste, den Kopf zum Himmel erhoben, weil er wußte,
sie würde nicht sprechen. Nicht über ihn, nicht über die Reiher, nicht über die
Gier, die sie verspürte, nicht darüber, wie krank sie sich vorkam. Als er
grinste, hatte sie ihn nur noch mehr gewollt, genauso wie sie das Gefühl
wollte, ein Reiher zu sein. Seidenglatte Geräusche zu produzieren, während sie
ihre Flügel ausbreitete. In aller Öffentlichkeit war sie ein Reiher geworden,
auf den zerdrückten Zweigen der Büsche, Dornen im Genick. Das hatte sie
gewollt, ihn lieben, weil Izzy japanische Münder liebte, fette Fische, all das,
was sie nicht war. Sie trank Tee. So hatte sie ihn geliebt, und es hatte nicht
gereicht. Karla hielt Isaak Stern für einen Sadisten.
Verschwunden war das Bedürfnis, T. S.
Eliot und sich selbst vor der Diesseitigkeit der Welt zu retten. Nicht eine
einzige Gedichtzeile, seit Alakar Macody in Gesellschaft der Schaufensterpuppe
in Vera Alberts Küche saß. Hier war es geräumig, von oben bis unten weiß und
plan, ein Schlachthof, gekachelt und heiß ausgewaschen. Veras geschäftige
hühnchenartige Trippelschritte hallten, und Dampf quoll aus dem riesigen Topf,
in dem sie Gemüsesuppe kochte. Fensterscheiben beschlugen, es gab keinen Ausweg
mehr. Seit Stunden trank er billigen Rotwein, der ihm ungefragt aus einem
riesigen Kübel nachgegossen wurde. Von Minute zu Minute fühlte er sich
leichter, und bald würde er wie ein mit Gas gefüllter Luftballon an der
niedrigen Decke kleben.
Wieder nippte er an dem schlierigen
Glas. Jaja, der Chiantiwein, summte Vera, die ihm gestanden hatte, daß sie nur
süße Weine trank und Italiener nicht mochte, bei denen es Papardelle statt
Pizza gab. Wenn sie nicht summte, beschrieb sie alles, was sie tat, im Detail,
als hätte sie einen Analphabeten vor sich oder glaube, Bratpfannen, Fischheber
oder Schneebesen seien kostbar und einzigartig für ihn. Sie hatte das Geld
nicht genommen.
»Jetzt den Lauch«, sagte Vera,
schwenkte ein Büschel Grün in der Luft und warf einzelne Stengel schwungvoll in
die heiße Brühe.
»Aaah...!« sagte Alakar, Wasser
brodelte und zischte, »aaah!«, sagte auch Vera. Dies schien ein Handel auf
Gegenseitigkeit zu sein. Sie kochte Suppe, sicher, aber darüber hinaus schien
sie etwas für ihn zu tun, was er selbst nicht konnte, wenn er auch nicht wußte,
was es war. Er erinnerte sich nicht, daß die Frauen in seiner Nähe jemals
richtig gekocht hätten, auf Fotos saß seine Mutter immer nur am Schreibtisch,
vor sich Papiere, Bergmassive, eine manierierte Halbbrille klemmte auf ihrer
Nase. Und Doris, die ihren Herd für ein Dekorationsstück gehalten hatte,
tischte lieber Spezialitäten aus dem Feinkostladen auf.
Wann hatte er je gesehen, daß jemand
ein Ei so köpfte, wie Vera es tat? Die elliptische Spitze schlug gegen ihre
Schläfe, sie blickte kurz auf, als es knackte, und grinste verlegen. Alakar
grinste zurück, ein Kunststück, famos. Wahrscheinlich existierten keine Eier im
Universum seiner Mutter, denn jemand, der den Alltag für Knechtschaft hielt,
mußte sich von Eiern fernhalten.
»Al-kalar, wissen Sie...«, sagte Vera,
und er lachte. Al-ka-lar, wie komisch sie war.
»Eigentlich heiße ich ja Antonio!«
sagte er, als er endlich aufhören konnte zu lachen, und Vera zuckte zusammen.
»Nein«, sagte er, »aber bitte!
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