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Die Endlichkeit des Lichts

Die Endlichkeit des Lichts

Titel: Die Endlichkeit des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Riedel
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scheußliches Schild angeschraubt. Albert, eine verschnörkelte Desdemona-Schrift, Messing mit Rosenornamenten, die
besser zu Doris Knöchel gepaßt hätten als zu Veras zerbrochenem Gesicht. Vera
Albert tauchte im Rahmen auf wie ein Geist. In den vergangenen vierundzwanzig
Stunden war der Ausschlag beherrschend geworden. Aber am meisten beängstigte
Alakar die leuchtend blutrote Farbe von Hartriegel-Zweigen im Winter.
    »Ich wollte...«, sagte er, und da erst
stutzte sie, erkannte ihn und drückte mit einer wuchtigen Bewegung das Türblatt
in seine Richtung. Während Alakar schnell seinen Fuß in den Rahmen schob,
zischte sie: »Egal, egal!« Die Schulter an das Holz gedrückt, stand er da, aber
Vera stemmte sich mit ihrem nicht unbeträchtlichen Gewicht von der anderen
Seite dagegen. »Hören Sie«, flüsterte Alakar.
    »Gehen Sie weg! Lassen Sie mich in
Ruhe!«
    Als sie hinter der Tür in unflätige
Beschimpfungen ausbrach, wich er zurück, bis Gerumpel ertönte, ein dumpfes
Dröhnen, als werfe sie etwas gegen die Wand. Danach war es plötzlich still.
Entschlossen drückte Alakar wieder gegen die Tür und trat in den Flur, der heiß
und stickig war.
    »Vera?« sagte er leise, aber nichts
bewegte sich. Durch die Dunkelheit tastend, hörte er etwas scheppern, ein
Schirmständer kippte, und dann sah er sie. Eine düstere Silhouette vor fahlem,
zerbrechlicherem Licht, das durch einen Spalt der hinteren Tür drang. Plötzlich
kam sie ihm größer vor als im Studio, unzerstörbar, eine Klippe. Erst als Alakar
sich vorsichtig näherte, nahm er den Grad ihrer Erstarrung wahr. Vera war
unbeweglich wie ein uralter Stein, eine Ansammlung dicht vernetzter,
unnachgiebiger Elementarteilchen. Er unterdrückte den Impuls zu lachen und
hielt einen Sicherheitsabstand.
    »Vera«, sagte er lauter, »warum nehmen
Sie nicht Vernunft an. Ich bin doch nur gekommen, um mich zu entschuldigen.«
    Schritt für Schritt rückte er vor, nahm
einen künstlichen Geruch wahr, Lack? Plastik? Etwas, was sie gegen den
Ausschlag nahm? Ihre dunkle Gestalt überragte ihn, schockierend, es war ihm in
der Show nicht aufgefallen. Sein Blick glitt rasch bis zu ihren Füßen, hohe
Absätze, keine Burschenschuhe.
    »Na so was«, sagte er laut, und als er
sich einen weiteren Schritt vorwagte, trieb der Luftzug winzige Stäubchen vor
sich her. Ihre Augen waren tot und starr auf einen Punkt über seinem Kopf
gerichtet, und es erstaunte ihn, wie sehr sie plötzlich Verna Albrecht ähnelte,
derselbe geronnene Blick, als hätte er eben Es war das andere Beinl gesagt.
Sogar die Frisur war ähnlich, ein Schwall von blondem Haar. Als im Hausflur die
Eingangstür knallte, von einem schnellen Windstoß zugeschlagen, wurde die
Etagentür in seinem Rücken wieder aufgedrückt, und erbarmungslos ergoß sich
Helligkeit in die schmale Diele. Mit dem Licht kam ein sonderbares Wimmern vom
Fußboden, vielleicht ein Haustier, eine Katze, die klagte wie ein kranker
Säugling.
    »Hören Sie«, sagte er unsicher zu der
großen Vera, die sich offensichtlich in einem Zustand der Katatonie befand,
»ich bin gekommen, um Ihnen das Geld zu geben, das Ihnen zusteht. Es war meine
Schuld, daß Sie verloren haben. Ich weiß ja auch, daß es nichts ändert, wenn
ich sage, es tut mir leid. Aber vielleicht kann man wenigstens...«
    In ihrer Unbeweglichkeit war sie schön
wie ein Gemälde, Verna Albrechts Zwillingsschwester, strahlend, mit rosigen,
sanft gerundeten Wangen. Ich habe Halluzinationen, dachte er, der Ausschlag ist
verschwunden. Der Atem stockte ihm, als plötzlich vom Boden eine Hand
auftauchte, nach ihm griff und den Knöchel seines gesunden Beins umklammerte.
    »Sehen Sie mich doch an«, sagte jemand
zu seinen Füßen. »Wenigstens ansehen sollte man einen Menschen, wenn man mit
ihm spricht.«
    Alakars Gehirn raste, voller Panik
drückte er sich gegen die Wand. Hier werden, sagte Eliot, Vergangenes
und Künftiges überwunden und ausgesöhnt. Da war die stehende katatonische
Vera, die Verna Albrecht glich. Zugleich lag Vera Albert auf dem Linoleum, eine
häßliche Vera, die nicht Vera sein konnte, weil Vera ihm gegenüberstand.
Vielleicht noch eine Zwillingsschwester, die häßliche Zwillingsschwester der
wahren häßlichen Vera. Das hier ist eine erschreckende Verwechslungsgeschichte.
    Entsetzt starrte Alakar Macody von der
einen zur anderen. Die Neugier des Menschen, salbaderte Eliot, durchforscht
Vergangenheit und Zukunft und klammert sich an die Dimension. Mit ihrer
rissigen

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