Die Endlichkeit des Lichts
verdient.«
Alakar räusperte sich.
»Helfen Sie doch, Macody«, sagte Kavo,
»weisen Sie der Lyrik wieder den Platz zu, den sie verdient.«
Alakar schluckte.
»Im Dschungel des Konsumkonflikts!«
setzte Kavo hinzu. »Nur Sie, Macody, und ungefähr eintausend Millionen
Millionen Millionen Millionen Millionen Millionen Gedichte.« Offenbar hatte er
sich vorher kundig gemacht, wie viele Tonnen Spannung Strings zu besitzen
pflegten, er formulierte sogar die genaue Zahl. Eine Eins und neununddreißig
Nullen. Die perfekte Metapher für den Dichter und seine Welt, sofern der
Dichter manche Nullen zweimal zählte, Leute wie Vera Albert. Geliebte Leute.
Nicht ganz uneigennützig hatte Vera ihm
Asyl angeboten, noch bevor der Castingtermin fürs Fernsehen feststand. Auch
dieses Angebot konnte Alakar nicht ausschlagen, unter anderem, weil sie eine
fabelhafte Köchin war. Abends nahm sie nun regelmäßig die Radiosendungen für
ihn auf, die sie gemeinsam hörten, wenn er zermürbt in ihrem Bett lag. Nur noch
selten betrat er seine Pension, weil Vera Albert ihn nicht ziehen lassen
mochte. Ihm kam es vor, als würde er sie seit Jahrhunderten kennen.
Selbst die Geräusche, die sie im Schlaf
von sich gab, erschreckten ihn nicht, sondern sorgten dafür, daß Alakar sich
geborgen fühlte. Hufeisennase nannte er sie manchmal liebevoll, Rhinolophus
ferrum-equinum, hufeisenförmiger Nasenaufsatz zur Ulltraschallortung, schreit
laut und tief. Fledermäuse hatten ihn immer interessiert, das Mausohr, Myotis
myotis, und die Abendsegler, die zu Hause auf seinem Dachboden in schamlosen
Kolonien hausten. Moschusduft schlug einem entgegen, wenn man die Treppe
hochstieg, ein scharfer Ton lag in der Luft, und die Gefahr war zu wittern,
noch bevor die atmenden Trauben aus schimmerndem Fell in Sicht kamen. Auf
Zehenspitzen, rückwärts, stieg Alakar stets die Bodentreppe wieder herunter,
genauso verstohlen, wie er in Veras Wohnung ins Badezimmer schlich und sich
wusch, sobald sie eingeschlafen war. Manchmal flogen die Mausohren in der Bucht
schon in der Dämmerung, und er schaute ihnen von seiner Holzbank aus zu, wie
sie zusammen mit den Mauerseglern jagten. Gedrungene Silhouetten, als hätte
jemand Steine in den Himmel geworfen, Steine mit Flügeln.
Vera, die Fledermaus, war jedoch
tagaktiv. Nach den kräftezehrenden Nächten machte sie sich morgens für die
Schule bereit und stülpte den englischen Ausgehhut wie einen Blumentopf über
den Schädel. Sobald ihr warmer Geruch in der leeren Wohnung verflogen war,
räumte Alakar auf. Er ertrug das Gefühl der Überflüssigkeit, das sich nach
kurzer Zeit einstellte, hielt ein Nickerchen und wanderte am späten Nachmittag zum Radio, wo ihn am
Hinterausgang immer Schlachtenbummlerinnen erwarteten. Seine Unterschrift war
schwungvoller geworden, und auf dem Foto, das der Sender eilig vervielfältigen
ließ, wirkte seine Miene gera dezu
kühn.
Fasziniert von seinem Erfolg, ging Vera
Albert dazu über, ihm nach dem Sex weitschweifige Gespräche aufzudrängen.
Gedichte liebte sie nur so lange, wie Alakar sie vortrug, und erstickte jede
weitere Poesie im Keim, indem sie geschickt Teilchentheorien in die
Konversation einflocht. Seitdem verfolgten Emissionen, Absorptionen und andere
Fachbegriffe ihn bis in seine Träume.
»Wenn du uns als Strings sehen willst,
Alkalar, dann sind wir offene Strings, frei, uns an den Enden
zusammenzuschließen!«
Alakar schob sich das Kopfkissen halb
über die Ohren wie damals bei Doris Knöchel. Er wollte keinen von ihnen als
Strings sehen, gerade Vera nicht, die philosophierend im Bett saß und mit den
Fingern eine Gurke nach der anderen aus einem Einmachglas fischte. Essigduft
zog ihm in die Nase, als sie vom Hosenbeinmodell anfing, das er längst kannte.
Geschlossene Strings, offene Strings, die sechsundzwanzigste Dimension der
Albertschen Weltanschauung, durchzogen von Gitarrensaiten.
»Die Entdeckungen von heute«, sagte
Alakar schläfrig, »die die Mythen von morgen sind...«, aber Vera kaute und
schmatzte, bis das Gurkenglas umfiel und flache Tümpel aus Einmachwasser auf
der Steppdecke stehenblieben. Wenn sie nicht aufhörte zu reden, drehte er sich
um und dämmerte endlich weg. Er wußte selbst nicht, was ihn an Vera Albert
fesselte. Aber er vermutete, daß es die Aufrichtigkeit war, mit der sie ihn
seit dem Abend in ihrer Küche bewundert hatte.
Am Tag nach ihrer letzten
Therapiestunde saß Verna im Kosmetikstudio vor der auftoupierten Maniküre, die
wie
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