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Die Endlichkeit des Lichts

Die Endlichkeit des Lichts

Titel: Die Endlichkeit des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Riedel
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Moment, und dann veränderten sich
ganz langsam seine Augen. Was, sagte er verständnislos, Feier? Was soll denn
das? Ich sagte doch eben, ich würde nie heiraten.
    An den Kühlschrankwänden taute das Eis,
Tropfen vom Schmelzwasser liefen Verna in die Haare, in den Kragen, sogar ins
Ohr. Sie preßte ihre heiße Stirn gegen den kühlen Gitterrost und kicherte. Über
weinende Kühlschränke, sich selbst und über Anne Sexton, die nichts als ein
Haufen ausgelagerter, wortreicher Tränen gewesen war. Große Flüsse, schwarze
Milz, oder hatte es schwarze Milch geheißen? Sie war eben keine Dichterin. Sie
kannte nicht mal die richtigen Gedichte.
     
    Über der Couch im Pensionszimmer hing
ein trüber Schleier aus Licht, und Alakar sehnte sich plötzlich nach seiner
Bucht, den pilzförmigen Ohrdeckeln der Abendsegler. Nur für ein paar Stunden
war er Vera Albert entkommen, er konnte in ihrer Nähe nicht schreiben, so
verantwortungslos diese Flucht auch war. Mit ihrem schweren, heißen Körper
hatte sie ihm den Geist ausgesaugt und seine Sprache dauerhaft beschädigt.
Unter solchen Umständen wurden Menschen depressiv oder sogar suizidal, was
bedeutete, daß auch das neue Gedicht zum Untergang verurteilt war. Kein Wunder,
daß es sich gegen ihn wehrte.
    Über Säuglinge hatte er schreiben
wollen und über Münder, die sich öffneten wie Kirschblüten, wie Kornraden. Bis
ihm einfiel, daß Kornraden mit ihren purpurroten, giftigen Blättern wohl kaum
ein passendes Bild für Kinderlippen waren. In dem Ackerunkraut steckte zuviel
Saponin, genausogut konnte er Schafblattern beschreiben, Scharlach oder
plötzlichen Krippentod. Vor dem Fenster stieg fettiger Dunst aus der
Pensionsküche auf, und nach kurzem Zögern schrieb Alakar doch Kornraden auf den Spiralblock. Als der Kugelschreiber ihm entglitt und über den Boden
rollte, schob er seufzend Bleistifte, Anspitzer und Radiergummis von links nach
rechts und wartete auf Inspiration.
    Vielleicht tut die Materie nichts
anderes, sagte Eliot
aus seinem Grab, als bei jedem erfolglosen Versuch einer formalen Gestaltung
zu wiederholen: nicht so! nicht so! Noch war Alakar egal, was die Materie
tat, aber es würden Zeiten kommen, in denen er sie dafür haßte. Schon kam es
vor, daß er Eliot unerträglich fand, wegen der Schönheit seiner Bilder und der
Schlichtheit seiner Rede, sobald es um Vermarktung ging. Fort mit dir, rief Eliot seinem Gedicht zu, such dir endlich einen Platz in einem Buch !
Solche Späße wären ihm schwerer gefallen, hätte Gott ihm nicht sein Talent,
unverdient wie Regen, in den Schoß fallen lassen.
    »Fort mit dir!« rief Alakar
probehalber, aber nichts geschah. Er hätte in seiner Bucht bleiben, den
Fernseher anschalten und hineinsehen sollen, statt ihn widersinnigerweise zu
betreten. Es war kein tröstlicher Gedanke. Niemand kann immer schreiben.
Manchmal ist ein Wort ein Berg. Der Kugelschreiber kritzelte sinnloses Zeug auf
den Block und verzierte es mit dicken schwarzen Balken.
    Während Alakar in Kreisen durch sein
Zimmer zu laufen begann, verschob im Hof jemand die Mülltonnen. Metall knallte
auf Beton. Schlangenlinien wanden sich kreuz und quer über ein weißes Blatt. Nicht
so! Nicht so! Wenn der Könner schon gut reden hatte, dann redete das Genie
am besten. Klock-klock, machte es, als der Kugelschreiber auf die Tischplatte
trommelte. Er war eben kein Genie. Klock-klock. Und schlimmer, er war neidisch.
Auf dem Flur, in der Raucherecke, stritten zwei Zimmermädchen, ihre Stimmen
deutlich wie ineinander verschlungene Linien. Das Zimmer war übervoll mit
Gedanken, die Alakar erstickten. Aber als er sich, von Unruhe überwältigt, hin
und her zu wiegen begann, senkte sich endlich der Himmel vor das Fenster,
sprengte die Scheiben und ergoß sich in seinen Körper. Materieloses, sanftes
Leuchten drang in sein Fleisch ein und erfüllte ihn. Da waren sie, die
Gedichte. In der Luft hörte er sie pendeln und rasen, ein Spinnennetz aus
Worten.
    Dies waren die schönen Metaphern des
Kampfes, stand auf den Wänden. Und du in all den schönen Metaphern des Kampfes.
Schon fliegen wieder die Zugvögel dein Monogramm in den Himmel. Alakar schrieb,
und das Zimmer wurde weiß und verschwamm, und als der Kugelschreiber
schließlich auf die Tischplatte fiel wie ein Ausrufezeichen, lehnte er sich zurück.
Worte, die kleine Ordnung, Dinge. Erschöpfung, sagte Eliot, wenn der
Dichter endlich die Worte in der richtigen Weise geordnet hat, Beruhigung,
Befreiung, ja fast so etwas

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